Serbiens Hinterland und Rumänien

Wie ich schon geschrieben habe, gefiel mir Belgrad sehr. Doch aus dieser Stadt hinaus mit dem Velo zu fahren, davor habe ich mich etwas gefürchtet. Es ist ein Kinderspiel! Erst an der Uferpromenade entlang, wo zwischen einem Teppich aus Petflaschen jämmerliche Hausboote stehen. Viele von diesen saufen ab, bevor sie bewohnbar sind. So schlecht, wie viele angebunden sind, werden auch einige davon treiben. Ich habe solche gesehen, die sind nur mit Strohballenschnur an Wurzeln befestigt. Das kann gar nicht halten!

Dann immer derselben grossen Strasse nach bei wenig Verkehr aus der Stadt hinaus. Danach kommen unschöne Dörfer. Oft in Nebel gehüllt, überall brennen Güselhaufen oder Container. Zudem fallen die vielen Bauruinen auf. Aber immer wieder gibt es sehr grosse, protzige Häuser, auch selten fertig gebaut. Da gerade die orthodoxe Osterzeit beginnt, stehen vor diesen Villen auffallend viele Autos mit einem D, A, F oder CH hintendrauf… Und dann noch das: ein Auto überholt mich, bremst und muss wegen der schlechten Strasse recht langsam abbiegen. Die folgenden zwei Autos müssen deshalb anhalten. Der Hinterste hupt, der Mittlere schätzt das gar nicht, es beginnen irgendwelche Vollgas- und Abbremsmanöver. Dann steigen beide Fahrer aus und chläpfen sich ein bisschen auf der Strasse herum. Ich warte so lange. Wie sie wohl reagiert hätten, wenn ich geklingelt hätte? Zum Glück habe ich kein Lüti, so konnte ich nicht in Versuchung geraten. Kurz vor dem Nationalpark habe ich dann eine gute Campiermöglichkeit gefunden. Dieser Abschnitt, der Park, ist sicher ein Höhepunkt bis jetzt. Landschaftlich enorm schön, sehr wenig Verkehr und das schönste Wetter. Übrigens hat das Wetter seine gute Laune etwas verloren. Zwar ist es am Tag recht sonnig, am Abend beginnt es aber immer zu regnen. Vom Park geht es direkt nach Rumänien über das eiserne Tor. So wird einerseits diese Staumauer genannt, der Donaudurchbruch durch die Karpaten heisst aber auch so. Bis zum Bau der Staumauer mit riesigen Schleusen war diese Stelle eine harte Knacknuss für die Schifffahrt auf der Donau.

In Rumänien werde ich von einem Heer von freundlichen Zöllnern empfangen. Aus Respekt muss ich die Taschen nicht öffnen, aus Neugierde soll ich aber alles genau erklären. Bis jetzt wurde ich noch nie kontrolliert, die Autos werden aber sehr genau angesehen. Das war schon in Serbien so. Danach habe ich meinen Veloführer konsultiert, in diesem steht, dass 1€ Zirka 35'000 ROL entspricht. Schon bin ich umringt von einigen Jugendlichen, das ist unangenehm bei Geldaktionen. Aber ich habe einfach den Lautesten als Aufseher bestimmt und der hat seine Aufgabe sehr gewissenhaft erledigt. Ich rechne also und überlege und komme zum Schluss, dass ich etwa 3'500'000 ROL beim Bankomat abheben muss, um 100€ zu erhalten. Ich gebe das ein, doch etwas funktioniert nicht, ich erhalte kein Geld. 2. Versuch. Man kann so verschiedene Sachen drücken hier, eines ist „fast cash“. Tönt gut, denke ich und es kommt tatsächlich recht zügig eine 10er Note zum Vorschein. Wieder rechne ich und merke, dass etwas nicht stimmen kann, denn für 0.0003 Cent stellt kein Land in Europa eine Note her. Leider kann keiner der Bande ein Wort einer Sprache von der ich auch eins könnte. Aber als ich ihnen den Führer zeige, schreiben sie auf, dass es nun eine neue Währung gibt und es etwa 4:1 zum Euro sei. Ich habe also gerade versucht, 1,6 Millionen Franken abzuheben! Etwas ausserhalb der Stadt darf ich dann auf einem noch geschlossenen Camping gratis übernachten. Mit dem tollsten Sonnenuntergang über der Donau!

Am nächsten Tag ist Orthodoxen-Ostern. Ich will nach meinem Frühstück aus Anstand in dem Campingrestaurant einen Kaffee trinken gehen und bekomme noch ein wunderbares Osterfrühstück dazu geschenkt. Ich habe also für weniger als 4 Franken da übernachtet und ein grosses Bier in der Bar getrunken. Dazu frühstücke und trinke ich auch noch zwei Kaffee. So wäre ich mit meinen Millionen recht weit gekommen hier. Etwas später werde ich wieder von Hunden auf Trab gehalten. Auf einer wunderbar breiten Strasse mit so einer Art Fahrradstreifen komme ich gut voran. Dann kommt ein kurzer Anstieg, etwa 4 Kilometer nur, aber recht steil. Natürlich wird hier die neue Strasse erst gebaut und es gibt 3 Rotlichter, alle sehr eng für Fahrrad und Auto nebeneinander. Das alleine wäre noch kein Problem, aber bei jeder Engstelle mit Ampel ist in der Mitte ein lausiges Hüttli mit einem struben Typ davor und selbstverständlich hat es immer einen Köter. Diese fahren total auf frische Schweizer Wadli ab. Das muss ziemlich komisch aussehen: Ich mit dem Pfefferspray in der Hand und nur mit einem Bein trampelnd (Klicker!), mit dem Andern wild nach dem Kopf des Köters kickend. Bei allen drei Ampeln genau das gleiche Theater. Den Spray brauche ich hier jedoch nicht. Seine Wirkung ist aber überzeugend, das weiss ich bereits aus Erfahrung. Kurz nach der Grenze griff mich ein ganzes Rudel an, pro Bein einer, einer wollte immer in den Anhänger beissen und einer kläffte einfach daneben. Normalerweise hören sie nach einer Weile auf und würden kaum beissen. Diese waren aber sehr hartnäckig und schnappten immer wieder. Dem Chef dieser Bande habe ich eine gepfefferte Antwort gegeben, worauf alle diese Viecher verschwunden sind! Andererseits werde ich mich wohl nie an den Anblick der überall in allen Stadien der Verwesung herumliegenden überfahrenen Hunde gewöhnen. Noch schlimmer sind die noch lebenden Schwerverletzten. Aber ich kann nichts tun für sie. Man sagt, dass Hunde viel über ihre Halter aussagen. Das mag wohl stimmen, ich machte folgende Beobachtungen: während in der deutschsprachigen Zone diese Tiere kein Thema sind, haben in der Slowakei viele Leute Kampfhunde. Die Halter sind oft mehr um meine Sicherheit besorgt als ich. In Ungarn sind es Wachhunde, welche Lärm machen, alle gut eingesperrt hinter soliden Zäunen. In Serbien sind die meisten wieder nicht so ernst zu nehmen, das ändert sich aber in Rumänien! „Sauhunde“, denke ich oft! Gegen Nachmittag beginnt ein neues Spektakel: Alle Leute sitzen auf Bänkli an der Strasse. Wenn ich gefahren komme, holen viele Kinder ihre Velos und begleiten mich ans Dorfende, andere stehen an den Strassenrand und wollen abklatschen und alle rufen etwas, lachen und klatschen. Eine Familie frage ich, ob ich sie fotografieren dürfe. Sie fühlen sich geehrt und der Vater holt gleich Brot, Ostereier, Salz, gespritzten Rotwein und später noch ein riesen Stück Torte. Auf den Weg bekomme ich dann noch 7 rote Eier und ein ganzes Brot mit, die Wasserflaschen werden gefüllt. Diese Aufmerksamkeit ist mir fast etwas unangenehm, es kommt aber noch dicker. In einem grösseren Dorf ist ein Dorffest, es werden Volkstänze aufgeführt. Sehr gerne würde ich anhalten und ein paar Fotos schiessen, das ist aber unmöglich: ich werde in die Mitte einer Menschentraube gehüllt und verfolgt, zeitweise sogar von einer Kutsche mit etwa fünf Mädchen, welche hier wohl bereits im heiratsfähigen Alter sind. Zudem ist der Alkohopegel zum Teil schon recht hoch, ich werde Zeuge mehrerer Raufereien. Deshalb stelle ich mein Velo nicht ab (Wo auch?) und fahre aus dem Dorf heraus und weg von der Strasse, es sind offensichtlich betrunkene Fahrer unterwegs. Zudem beginnt es wieder zu regnen. Etwas ausserhalb der Dörfer sieht man Männer im Gras sitzen oder liegen, manche reden einfach, andere spielen Schach, wieder andere trinken gepritzten Rotwein. Eines haben sie alle gemeinsam: sie sind alle sehr entspannt, gut gelaunt und haben an der Hand eine Kuh oder ein Pferd, welches dann ein bisschen das frische Gras fressen darf. Wegen dem Regen brechen sie aber jetzt auf. Nebst der Schlafplatzsuche ist übrigens das Wasser ein Problem. Obwohl ich einen Wasserfilter bei mir habe, muss ich am Nachmittag immer etwa vier Liter Wasser kaufen. Es gibt in dieser Ebene sehr selten Bäche, aus welchen ich mich getraue, Wasser zu filtern. Obwohl der Hersteller des Filters behauptet, jedes Wasser trinkbar zu machen, wage ich es nicht, aus gewissen Lachen zu pumpen... Die weiteren Tage sind etwas eintönig: immer die gleichen Dörfer, immer dieselben Felder, scheinbar immer die gleichen Leute. Es sind langgezogene einfache Dörfer, nur die Hauptstrasse ist asphaltiert, links und rechts der Strassengraben, dahinter die Zäune und die Bänkli mit den Leuten darauf. Zwischendurch ein sehr einfaches Kaffee oder ein Einkaufsladen mit dem Allernötigsten: für mich Mars und Cola, da ich nicht Kartoffeln rüsten will. Auch kein Gemüse (ausser eben Kartoffeln), selten Obst, denn das haben die Leute selber. Übrigens muss ich noch anfügen, dass ich den Serben wohl etwas unrecht tue: Kaum ist die Osterzeit vorbei, brennen hier auch überall Güselhaufen. Manchmal braucht es schon ein gutes Stück Selbstdisziplin, seinen Abfall nicht einfach zum andern Plastik im Strassengraben zu werfen, zumal man weiss, dass er sowieso da landet, auch wenn ich ihn in einen Abfalleimer werfe. Erst war ich auch überrascht, wie viele teure Autos es in dieser doch sehr ländlichen Gegend hat, wurde mir aber der Osterzeit schnell bewusst. Inzwischen ist wieder Normalität eingekehrt und wenn auch die motorisierten Gefährte noch in der Überzahl sind, stehen die Kutschen mit Esel, Pferd oder Ochse/Kuh angetrieben überall umher.

Heute bin ich nun am Grenzübergang zu Bulgarien angekommen. Ich muss aber erst noch ein paar Dinge organisieren und habe mich entschieden, das noch in Rumänien zu erledigen. Obwohl ich merke, dass ich auf dem Radar der Polizei bin. Gestern war die Schlafplatzsuche wieder sehr schwierig, überall hat es Bauern, Hirten oder Zigeuner. Je später, desto misstrauischer sind die Leute und als ich ein Stück Wald sehe, merke ich, dass mich ein Polizeiauto, welches mir vorher begegnete, beobachtet. Der Wald wird wieder von so einem armen Teufel für ein paar RON bewacht, er erlaubt mir, da zu schlafen. Fast schon bereue ich es, gefragt zu haben, da ich einen steten Kampf mit seinen vier Hunden habe und er schon bald Geld betteln kommt. Doch dann fährt die Polizei zu, ein Uniformierter und ein offenbar recht hohes Tier ohne Uniform steigen aus und wollen meinen Pass sehen. Es ist zwar alles in Ordnung und ich darf bleiben, zufrieden sind sie aber nicht so recht und ich werde auch heute morgen ständig beobachtet. Eigentlich hätte ich noch zwei Tage nach Bukarest gehen wollen. Leider hatte ich aber die vergangen Tage wieder so starken Gegenwind, dass die Zeit dafür nicht mehr reicht, ich will die Fähre in Varna nicht verpassen. Wenn denn das überhaupt klappt! Der Wind war übrigens so stark, dass ich ohne eine einzige Pedalumdrehung zu machen gleich schnell in die Gegenrichtung gestossen werde, wie ich in meine Richtung fahren kann, ich habe es zwei Mal ausprobiert! Nicht ganz, muss ich zugeben: in meine Richtung komme ich zirka mit 9Km/h, gestossen werde ich mit 7Km/h. Ohne Wind hätte ich am Abend mehr als doppelt so viele Kilometer mit weniger Anstrengung auf dem Zähler. Zum planen ist das recht schwierig. Aber ich will ja nicht etwa jammern! Jetzt bin ich in einem recht angenehmen Motel, die Englisch-Sprechenden verdammt unfreundlich, die keine meiner Sprache Sprechenden (Wäscherei) sehr freundlich. Als ich in meinem riesen Zimmer zum ersten mal seit langem in einen Spiegel schaue, verstehe ich zunehmend die Skepsis gewisser Leute. Und nach einer Dusche sind plötzlich wieder alle recht freundlich…

Bis bald!