Pamir-Highway
Nach ein paar erholsamen Tagen in Khorog mache ich mich gut mit Vorräten ausgestattet auf den Weg durch das Pamirgebirge. Ich schleppe etwa 3 Kilogramm getrocknete Früchte und Nüsse, 1.5 Kilo Reis, Teigwaren, die feinen Karamell-Guezli (nicht meinem Zahnarzt verraten…) und einige Gewürze und Zutaten mit, schliesslich bin ich inzwischen unter den Radfahrern für meine Gourmetküche bekannt. Zudem hat mir einer erzählt, dass es einen Schweizer Velotourer gebe, welcher in Iran seinen Pass verloren habe. So ein Pechvogel aber auch!
Die Strasse führt in ein Seitental, weg von der afghanischen Grenze mit dem Militär, einem gut bewässerten Tal entlang, wo es auch noch Dörfer gibt. Die Einwohnerdichte nimmt aber merklich ab und irgendwann bin ich alleine. Ich komme gut voran, die zunehmende Höhe bereitet mir keine Mühe, im Gegenteil, die Temperaturen sind jetzt angenehm und die Luft sehr klar. Der erste Pass führt mich über 4200 Meter auf eine Hochebene, welche während 550 Kilometer nie unter 3600 M.ü.M. abfällt. Bevor ich aber ganz oben ankomme kommt mir Günther, ein Töfffahrer aus der Unterkunft in Khorog, entgegen und hat ein kühles Bier dabei! Dieses und die selbst gedrehte Zigarette fahren mir allerdings zünftig ein, das Bier hat 10 Vol% und der Rest des Hügels wird noch recht nahrhaft. Nach dem Pass, auf über 4000 Meter Höhe, schlafe ich, das Blau des Himmels am Abend, die klaren Farben und die immer noch milden Temperaturen veranlassen mich, das Zelt zwar aufzustellen aber draussen zu schlafen und den Sternenhimmel anzuschauen. Der Mond geht erst früh am Morgen auf und es gibt weit und breit kein künstliches Licht. So erscheinen einem die Sterne unglaublich hell, zudem gibt es unzählige Sternschnuppen, einige zünden den halben Himmel an.
Die Landschaft ist nicht nur wegen der Höhe atemberaubend und so erlaube ich mir einen Ausflug ans Ende der Welt. Da liegt das Dorf Bulunkul mit 30 Einwohnern, etwa 16 Kilometer abseits des Highways und dahinter ist der Yasikulsee. Bei der Abzweigung bin ich mir erst nicht sicher, Wegweiser gibt’s sowieso keine und die Strasse ist doch etwas gar schlecht, eigentlich nur ein paar Fahrspuren. Da sie aber durch die Berge führt, hinter welchen das Dorf liegen muss (laut meiner 1:4‘000‘000 Karte, auf welcher das Dorf und die Strasse von mir von Hand eingezeichnet worden sind) wage ich es. Und Volltreffer, ich finde es. Unvorstellbar, von was die Leute hier leben sollen, es gibt nichts ausser dem See ein paar Kilometer weiter hinten. Die paar Yaks und Schafe werden Mühe haben, selbst für so wenige Leute genügend Milch und Fleisch herzugeben. Es gibt aber eine warme Quelle, in welcher ich mich breit mache und ausgiebig bade. Auf einem Umweg fahre ich am nächsten Tag während 40 Kilometern ein paar Fahrspuren entlang in ein Tal, wo es einen Geysir geben soll. Landschaftlich ist es sehr schön hier und ich kann lange einen Adler beobachten. Den Geysir finde ich zwar, aber er schläft noch und ich glaube kaum, dass der echt ist, da hat einer einfach eine Quelle mit etwas Druck angebohrt und ein Eisenrohr eingelassen. Während des ganzen Tages begegne ich keinem Menschen, bis ich wieder auf den Highway komme, wo hie und da ein Auto fährt.
Das Wetter schlägt um und ich werde die nächsten paar Nächte immer Schnee aufs Dach kriegen. Das ist vorläufig kein Problem, ich bin dafür ausgerüstet und die Strasse ist meist asphaltiert. So erreiche ich Murgab, das Dorf, welches die Tadjiken als wilden Osten bezeichnen. Tatsächlich sind das beeindruckend wilde Kerle, welche man auf dem Markt antrifft, das Dorf ist scheusslich und es gibt nur das Allernötigste zu kaufen. Manchmal werden vom Militär gewilderte Marco-Polo Schafe, welche recht gross und inzwischen selten sind, auf dem Markt verkauft, wenn ich da bin ist aber sogar das Kaufen einer Nudelsuppe schwierig. Was es immer gibt sind die Kekse, welche offen in Kartons angeboten werden und nach dessen Konsum man mit dem Staubsauger aufs Klo muss. Strom gibt’s nur, wenn man einen Generator hat. Beim öffentlichen Netz ist die Spannung so schwach und unregelmässig, dass man im Glühbirnenlicht gerade die Türe findet, an den Betrieb eines technischen Geräts ist nicht zu denken.
Nach Murgab ist dann ganz fertig mit dem Verkehr und die hohen Pässe - der höchste ist 4657 Meter hoch - kommen. Die Berge rundum werden höher, oft kann man auf ihre Gletscher runter schauen und wenn man am Abend in den riesigen Bachbetten mit dem Kaffee in der Hand die in der Sonne noch leuchtenden Schneeberge anschaut, kann man sich sicher sein, dass man weit und breit der einzige Mensch ist (ausser ein anderer Velofahrer campt gerade hinter dem nächsten Stein). Nach einem weiteren Pass und der kirgisischen Grenze kommt die wilde Abfahrt auf einer sehr schlechten Strasse, welche kaum mehr als Schritttempo zulässt, auf ein kartesisches Hochplateau mit vielen grossen Herden und immer wieder stehen ein paar Yurten, in welche ich öfters zu Tee und Brot eingeladen werde. Stutenmilch und Yakbutter sind recht gewöhnungsbedürftig, ablehnen geht aber nicht und ich bin trotz allem über die Abwechslung im Speiseplan froh. Die richtige Schlammschlacht steht mir noch bevor: in der Nacht schneit es wieder, dieses Mal bleibt er liegen und die nun von grossen chinesischen Lastwagen befahrene Strasse in das Land der Mitte ist in einem noch schlechteren Zustand als die vorher beschriebene. Kommt ein Lastwagen, muss ich in tiefen klebrigen Schlamm ausweichen, welcher sofort alles blockiert und ich muss das Velo zurück in die Fahrspur schleppen, schieben geht nicht mehr. Manchmal muss ich den Anhänger abhängen und ihn separat geradeaus ziehen, alles zusammen zu schleppen würde meine Kräfte übersteigen. Immer wieder bleibt ein Lastwagen stecken, da es immer entweder steil rauf oder runter geht. An diesen Dingern dann vorbeizukommen ist ebenfalls nicht einfach und gefährlich, sie rutschen oft seitwärts ab. Das atemberaubende Bergpanorama des Pamirs entschädigt das alles bei weitem und ich schaffe es, die Fahrt trotzdem irgendwie zu geniessen. Manche Wände schiessen vom immer noch 3600 Meter hohen Plateau nochmals über 4000 Meter in die Höhe. Zum Beispiel der Peak Lenin oder der Peak Kommunismus. Diese haben inzwischen andere Namen, aber keiner kennt sie. Der frisch gefallene Schnee verzaubert die Szenerie und es ist kaum zu glauben, dass ich diese Bergkette soeben mit dem Velo durchquert habe!
Irgendwann erreiche ich doch noch die chinesischen Grenze und nach 4 Stunden Einreise-Zeremonie kann ich ohne mein Milchpulver auf nun super Strasse in Richtung Kashgar weiterfahren, welche ich nach ein paar weiteren Pässen 2 Tage später erreiche. Endlich gibt’s wieder Dörfer mit Leben und Essen, die Strasse wird mit jedem Kilometer lebhafter, ich bemerke, wie schön es ist, in Wäldern zu fahren und wie wenig von diesen ich bis jetzt auf der Reise gesehen habe.
Kashgar ist eine einstmals wichtige Stadt auf der Seidenstrasse, da man aus Osten kommend hier die Wüste hinter sich und die Berge vor sich hatte. Heute gehört sie zu China, wird aber immer noch zu 80% von den muslimischen Uiguren bevölkert. Das Zusammenleben mit den Chinesen gestaltet sich schwierig, die Unruhen in diesem Sommer in Urumqi haben die Situation nicht einfacher gemacht. Überall gibt’s Polizeikontrollen, das Militär patrouilliert auf grossen Lastwagen schwer bewaffnet durch die Strassen, die Han-Chinesen schliessen beim Eindunkeln ihre Quartiere mit grossen Toren, ebenfalls streng bewacht, ab und wenn man da essen geht, spürt man das Unbehagen und die Angst der Leute. Geht man bei den Uiguren essen, ist es die Wut über die Repressionen, die Ungerechtigkeiten (die mit Abstand am meisten Todesurteile Chinas werden hier vollstreckt, fast immer bei Muslimen). Man spricht mit mir darüber, ich bin ein Fremder. Sowieso habe ich hier gar nichts zu befürchten, ich sehe nicht aus wie einer der einen oder andern Volksgruppe und werde von allen als Gast oder Tourist behandelt. Die ganze Region, welche mehrere Zug-Tagesreisen umfasst, hat seither keinen Zugang mehr zum Internet, Telefonnummern innerhalb Chinas sin nur mit Bewilligung und internationale Telefonate sind überhaupt nicht mehr möglich und das wird sich nicht so schnell wieder ändern. Also keinen Kontakt nach aussen. Sonst aber gibt es hier es hier alles im Überfluss. So kann man am Markt 22 verschiedene Traubensorten aus lokalem Anbau kaufen, dabei ist die Region für ihre Melonen bekannt. Uigurisches, chinesisches, europäisches und pakistanisches Essen gibt’s überall und zu jeder Zeit für wenig Geld, der Kontrast zu vorher könnte für mich grösser gar nicht sein. Ich schlage mir den Bauch voll, bis ich kaum noch gehen kann, trage einen grossen Plastiksack voller Früchte ins Hotel und bemerke da, dass es morgen wieder Früchte zu kaufen geben wird!
Allerdings ist Ramadan, die muslimische Fastenzeit, in der von Sonnenaufgang bis –untergang nichts gegessen werden darf, für mich gilt das nicht. Aber am Abend gehe ich gerne an den Nachtbasar. Da wird das verschiedenste Essen in freudiger Erwartung zubereitet, die Strasse füllt sich immer mehr mit Leuten, Essen, Düften und Leben. Ich nehme irgendwo Platz, werde freundlich begrüsst. Das Essen kommt bereits, wir müssen aber noch 10 Minuten warten. Dann wird’s plötzlich ruhig, Allah wird gedankt und auf einen Schlag werden alle Zügel losgelassen: essen, trinken (Tee), lachen, schreien, Hände schütteln, begrüssen, umarmen, mehr Essen bestellen, spucken, schlürfen, rülpsen. Ich bin mittendrin, verstehe zwar kein Wort und doch alles, werde eingeladen. Leider ist es für mich hier unmöglich, Fotos zu machen, aus verschiedenen Gründen, ich will aber auch gar nicht, das muss man erleben und fühlen. Speziell sind die Preisunterschiede. Am Flughafen wollte ich einen Kaffee trinken, der wuerde aber mehr als das Doppelte kosten, als wenn ich mit dem Taxi 20 Minuten in die Stadt fahre, da im Restaurant Mittagessen und Kaffee bestelle und mit dem Taxi wieder zurück zum Flughafen fahren würde. Hier sind Taxifahrt, und alles eingerechnet!
Kashgar ist von drei Seiten von gewaltigen Gebirgszügen umgeben (Himalaja, Pamir und Tian-Shan; alle haben mindestens 7500er und gegen diese Gebirge sind unsere Alpen kleine Lausbuben). Auf der vierten Seite aber ist die Taklamakkan-Wüste, welche westlich in die Wüste Gobi übergeht, eingemauert. Aus dieser Region stammt übrigens die chinesische Jade.
Ich hätte von hier mit dem Zug ein Stück fahren wollen, das erweist sich aber als schwieriges Unterfangen, die Universitäten beginnen, die Ferien sind fertig und der Zug ist sehr beliebt. Ungern sehe ich ein, dass das Fliegen die einzige „vernünftige“ Lösung ist, wenn ich nicht mit dem Velo weiterfahren will. 3000 Kilometer durch diese Wüste, zu welcher Marco Polo in seinen Reiseberichten wie folgt berichtet: „Ein sinnloses Unterfangen wäre es, wollte man diese Wüste ihrer Länge nach durchwandern; denn man würde dazu fast ein Jahr brauchen und könnte für eine so lange Zeit keine Lebensmittel mit sich führen…“. Obwohl ich nicht ein Jahr benötigen würde und es auf der Seidenstrasse viele Städte gibt, will ich mir das nicht antun. Das sollen die machen, welche mit Velofahren ihr Geld verdienen müssen oder harte Sieche sein wollen.
Nun bin ich Kunming im Südwesten Chinas in der Stadt des ewigen Frühlings. Ich habe durch die Fliegerei genügend Zeit, hier einige Sachen anschauen zu gehen, ich werde einen Hauch Tibet einfangen, mein ursprüngliches Ziel, durch den ganzen Tibet von Kashgar aus nach Kunming zu fahren ist im Moment völlig aussichtslos, da ist alles komplett abgeriegelt. Aber hier im Osten kann man so am Rand ein paar Dörfer besuchen. Dann fahre ich weiter nach Süden in Richtung Laos.