Osttürkei - zahnrads Webseite!

Osttürkei

Nach der Ballonfahrt stürze ich mich in die heisse Steppe in Richtung Nordosten. Ich erwarte kühleres Wetter, Berge und Kurden. Und ich werde nicht enttäuscht! Bereits vor Sivas ist es deutlich kühler, rundum in den Bergen gewittert es heftig, ich bleibe aber noch trocken. Nach Sivas finde ich einen wunderschönen Platz zum Campen, ich gehe im kleinen Fluss schwimmen und wasche mich gründlich. Alles ist noch friedlich.

Erst in den ferneren Bergen, aber plötzlich auch immer näher bei mir, entladen sich heftige Gewitter. Das ist insofern ein bisschen beunruhigend, als dass ich im Bachbett mein Zelt aufgeschlagen habe. Ich bin mir aber sicher, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass ich nass werde vom Fluss und unmöglich, dass ich die letzten paar Kilometer nochmals radeln muss, weil ich weggespült wurde. In der Nacht beginnt es dann auch bei mir so richtig zu hudeln und ich bin mir nicht mehr so sicher, ich zügle mitten im Platzregen. Am nächsten Morgen ist der Bach keinen Zentimeter gestiegen, aber ich habe gut geschlafen. Dann geht es über einen Pass, 2200m hoch, es ist neblig und ein bisschen unheimlich. Will man gewissen Leuten glauben, sitzt hinter jedem Stein ein Terrorist, in Wirklichkeit aber ist hier das Problem inexistent. Als ich fast oben bin, noch ein paar hundert Meter fehlen, halte ich mich kurz an einem Lastwagen, ich bin recht müde. Die Fahrer laden mich dann gleich auf, bis Erzurum kann ich mitfahren. Mir geistert so ein Projekt im Kopf herum, dazu würde aber meine Zeit nicht reichen, wenn ich nicht einen kräftigen Schubser in Richtung Osten erhalte. Dieser Lastwagen ist die Möglichkeit und ich nehme die Gelegenheit leider war. Leider sage ich aus zwei

Gründen: erstens war diese Fahrt alles andere als entspannend, ich habe das erste Mal ein bisschen Angst um meine Sicherheit und um mein Geld. Und zweitens wird später doch nichts aus meiner Idee.

Aber am Schluss kommt es gut, nach einer weiteren anstrengenden Nacht und einem langen Vormittag, an welchem ich auf den Lastwagenfahrer warte, finde ich ein günstiges und gutes Hotel. Da schliesse ich mich erst im Zimmer und dann zusätzlich im WC ein. Endlich alleine, endlich Ruhe, endlich fühle ich mich wieder richtig sicher. Ich muss zugeben, dass mir hier die Situation etwas aus dem Ruder gelaufen ist und ich nicht mehr alles unter meiner eigenen Kontrolle hatte. Ich hatte während der Fahrt zwar Notfallpläne geschmiedet, diese hätten am Ende jedoch alle wenig oder nichts getaugt.

Ich komme kurz vor der Grenze zum Iran am Berg Ararat vorbei, dem höchsten und mächtigsten Berg der Türkei. Die Besteigung ist technisch eher anspruchslos, die

Höhe mit etwas über 5000 MüM mit den Alpen vergleichbar. Obwohl die  Skitourensaison erst gerade vorüber ist, würde ich mir bei guten Verhältnissen auch mit meiner bescheidenen Ausrüstung einen Angriff zutrauen, zumal man zu jedem Zeitpunkt umkehren kann. Dass man eine besondere Erlaubnis für viel Geld braucht, habe ich leider gerade vergessen… Ich besorge mir also Karten und möglichst viele Informationen in Erzurum, dann werde ich von flotten Leuten in eine noch flottere Bar eingeladen und da von noch viel flotteren Girls zu einem Drink.

Nicht schlecht, oder? Drei Mal werde ich aufgefordert, mir von der Band ein Stück zu wünschen (die Bar ist voll!) und da ich schon früh gemerkt habe, dass Nirvana und Franz Ferdinand hoch im Kurs stehen, können sie fast alle gewünschten Stücke. Sie spielen sehr gut und mit viel Leidenschaft, ich verstehe aber den Text nicht und denke mir in meiner Naivität, dass sie ähnlich dem englischen Text türkisch singen. Weit gefehlt, der Sänger versteht einfach kein Wort Englisch und singt halt so, wie es in etwa tönt. (Auf Youtube „Ken Lee“ suchen, da seht ihr, was ich meine) Das realisiere ich aber erst, als die ganze Band auf mich einredet und der Sänger fragen lässt, ob man denn den Text verstehe. Die letzten 250 Kilometer bis in das letzte Dorf sind bergig, einsam und wenn es nicht regnet, dann hagelt es. Oder mindestens Schneegraupel. Ich bin aber gut eingepackt und es ist nur doof, bis die Schuhe richtig nass sind, danach spielt es keine Rolle mehr. Nur die Blitze, bei welchen es gleichzeitig donnert machen mir etwas Sorgen. Trotzdem komme ich gut voran und am Abend bin ich bei einer kurdischen Familie eingeladen. Die Männer essen am Boden, die Frauen gar nicht. Das Haus hat kein einziges Möbelstück, nur Teppiche, Kissen und einen Fernseher. Das Fleisch, welches sie mir dauernd unter die Nase halten, ist mir etwas suspekt, gerne würde ich verzichten, doch es geht einfach nicht. Also suche ich mir das kleinste Stück aus, es ist immer noch sehr gross um ganz in den Mund zu gelangen. Aber ich habe keine Möglichkeit, jemandem abzuschauen, wie man das isst und ich werde von allen genau

beobachtet. Schon beim ersten Zubeissen merke ich, dass das eine abendfüllende

Angelegenheit zu werden droht. Ich kaue und kaue, es will einfach nicht kleiner werden und irgendwann setzt der Schluckreflex ein. Ein Teil geht zwar in die richtige Röhre, ist aber immer noch mit dem Rest im Mund verbunden. Ich versuche verzweifelt, weiter zu kauen, es geht nicht und ich setze alles auf eine Karte. Ich schliesse die Augen und schlucke, auf das Schlimmste gefasst. Gut gegangen, aber während ich mir das Augenwasser abwische, halten sie mir bereits wieder diese elende Schüssel unter die Nase, ein Ablehnen wird nicht akzeptiert. Die weiteren Stücke sind nicht nur grösser, sie sind offensichtlich noch zäher. Doch da! Ein Knochen! Ich greife ihn und nage so lange an ihm herum, bis ich ihnen bewiesen habe, dass ich das Fleisch wirklich sehr mag. Dann esse ich mich mit Ekmek (Brot) satt. Jetzt versuchen wir wieder mit Hilfe von Lehrbüchern, etwas Englisch und Türkisch zu sprechen, sie sind sehr freundlich und

auffällig zärtlich untereinander. Dazu trinke ich 15-20 Tassen extrasüssen Tee. Der älteste Sohn (der Vater arbeitet in Frankreich) macht immer wieder schwer bewaffnet Rundgänge ums Haus, er wolle nicht, dass wieder Kühe aus dem Stall gestohlen würden. Er scheint recht ängstlich zu sein, schon ich wurde mit einem armdicken Knüppel in der Hand begrüsst, als ich für die Anfrage, ob ich hier campen dürfe an der Tür klopfte. Ich werde aufgefordert, mein Zimmer doppelt abzuschliessen, obwohl alle Haustüren schon sorgfältig verschlossen worden sind. Zu seiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich gewisse Bedenken hätte, hier einfach neben der Strasse zu campieren, trotzdem ist es hier sicher nicht ganz so gefährlich, wie er glauben macht. Leider fällt immer wieder der Strom aus und als es wieder länger dauert, gehen wir eben schlafen. Zähneputzen kann ich nicht mehr, die Türen sind verschlossen und es gibt weder fliessend Wasser noch einen Ablauf im Haus - Obwohl es recht neu und sehr gross ist. Und zum Glück muss ich nicht für grosse Jungs, dieses Loch im Bretterboden (hinter dem Haus) hätte ich niemals getroffen und auch sonst hätte ich nicht genau gewusst, wie ich es da machen sollte.

Leider sind die Gewitter am nächsten Tag noch viel heftiger als vorher und die Berge ringsum sind weiss. Unterhalb der Schneefallgrenze vom Hagel, oberhalb hat es viel Schnee gegeben. Und somit ist mein Projekt Ararat gestorben, bevor ich ihn zwischen all den Wolken einmal gesehen habe. Ich finde wieder ein günstiges Hotel, dieses Mal dauern die Preisverhandlungen etwas länger. Nach dem Regen ist es interessant zu sehen, wie die Leute das überschwemmte Dorf wieder herrichten. Es wird viel Tee getrunken, mit Plastikbesen aus China wischt man das gröbste Wasser aus dem Laden und wer sein Geschäft schneller trocken hat als die Anderen, versucht lauthals, diesen Vorteil in Geld umzuwandeln. Nur so aus Interesse gehe ich ins Sportgeschäft und frage den Verkäufer und Bergführer, was denn eine Besteigung des Ararat kosten würde. 1000€ rechnet er mir vor, very good price…

Da das Wetter noch immer mies ist, mein GPS-Logger den Regen nicht überlebt hat und ich mit den Tagen im Iran (Visum) etwas haushalten muss, bleibe ich noch einen Tag länger. Ich kann den Logger zwar nicht reparieren, konstruiere aber mit verschiedenen Programmen eine Möglichkeit, um mindestens ein paar Daten per GPS-Handy zu sammeln und der Ersatz (Garantie) ist organisiert. Eigentlich doof, ich weiss. Aber viel gibt es hier sonst nicht zu tun. Man könnte wandern gehen, das wäre aber mit viel Schlamm und der Gefahr von gelegentlichen Elektroschocks durch Blitze verbunden. Zudem treffe ich Elias, einen Professor in Philosophiewissenschaften aus den USA, im Hotel. Ein wirklich sehr interessanter Mann, mit welchem ich in einem kleinen Restaurant essen gehe, welches recht offen mit der verbotenen Arbeiterpartei der Kurden sympathisiert. Der Prof. kann ein paar Worte kurdisch, was ihn zum

Star macht. Wir dachten beide, dass man hier mit diesen Sachen recht vorsichtig sein sollte, die Situation scheint sich aber auch in diesem Bereich recht entspannt zu haben.

 

Nach oben Standard Ansicht