Khorog

Ich bin an der Grenze zu Tadjikistan angekommen. Vor dem Zoll kommt eine gut bewachte Barriere - geschlossen. Der Militarist fragt per Funk, ob ein Tourist durchfahren könne, so viel meine ich zu verstehen, doch der Bescheid ist negativ. Schliesslich ist ja auch Mittagspause bis 14h, es ist erst halb zwölf. 150 Minuten also bei 45 Grad am Schatten warten, die Schattenplätze unter den wenigen Bäumen sind aber alle schon besetzt. Nur noch an einer Mauer recht nah beim Wächter gibt’s einen schmalen Schattenstreifen. Ich packe alle meine Esswaren aus und lege mich auf die Zeltunterlage. Bereits nach 5 Minuten darf ich dann doch durch, innert Sekunden verwandelt sich der Platz in einen Ameisenhaufen. Ein paar schlüpfen mit mir durch die Absperrung und ein Rennen auf das Zollhäuschen beginnt. Ich mit dem Velo bin der Schnellste. Hätte ich mich hinten an der nun entstandenen Schlange anstellen müssen, hätte das den ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen können, so aber war ich nach einigen Minuten in Tadjikistan. Doch weit komme ich nicht, schon im ersten Dorf schleppt mich ein Junge nach Hause, ich werde den ganzen Tag und auch die Nacht da verbringen und einen kleinen Einblick in das Leben hier geniessen. Als ich irgendwann einfach nichts mehr essen kann, meinen die Herren (die Frauen essen bekanntlich später), dass ich vielleicht die Rüebli nicht mag und klauben alle raus. Gekocht wird übrigens sommers wie winters draussen auf dem offenen Feuer.

 Mit der Hitze Zentralasiens komme ich gar nicht klar, nun kommt noch die schlechte Strasse (manchmal mehr Bachbett als Strasse) hinzu und mein Zeitplan liegt schon nach wenigen Tagen arg im Hintertreffen. Ich werde mich damit arrangieren müssen, besser wird es nur stellenweise. Stress habe ich nicht, viel darf aber nicht schief gehen, sonst werde ich die wohl schönste Strecke meines Reislis in einem sündhaft teuer gemieteten Jeep verbringen: mein Visum ist nur 30 Tage gültig, und den Pamir-Highway will ich auf keinen Fall verpassen oder chauffiert werden!

In keinem Land, welches ich bis jetzt bereist habe, lag wunderschön und hässlich so nahe beieinander wie in Tadjikistan. Da sind die beeindruckenden Steilhänge des Fan-Gebirges mit faulenden Wunden zum Himmel stinkend, es sind Kohleminen. Ich weiss nicht ob es Abgas, Staub oder Rauch ist, was aus den Löchern quillt, gesund sehen die Mineure jedenfalls nicht aus. Einige von ihnen sehen nicht bloss aus wie Kinder, sie sind es tatsächlich noch und alle haben diese entzündeten Augen und russgeschwärzten Gesichter. Irgendwann kommt der Tunnel, von welchem ich schon so viel gehört habe. Eigentlich wollte ich über den Pass, bei der Abzweigung muss ich mit einem Schmiergeld fordernden Polizisten verhandeln und verpasse in der Hitze (des Gefechts) die richtige Strasse. Bemerken tue ich das erst 700 Höhenmeter weiter oben. Also muss ich doch durch den Tunnel. Dass man nicht mit dem Velo durchfahren kann, habe ich mehrmals gehört, man siehts eindrücklich beim Eingang. Ein Autofahrer lädt mich auf, später verlangt er dann Geld dafür. Ich bin geschockt, was ich da sehe: Vom knietiefen Wasser habe ich gehört, dass man aber in den sich darin befindenden Schlaglöchern locker das Auto versenken kann, ist mir neu. Zudem ist der Smog so stark, dass man nicht vorne über die Haube auf den Boden sieht, man muss sich an der Wand orientieren. Wir verrecken trotz abgeschalteter Lüftung fast wegen dem Gestank und da tauchen immer wieder dicht neben dem Fenster die Silhouetten von Arbeitern auf. Unglaubliche Zustände sind das! Zweimal gelingt es dem Fahrer nur mit viel Mühe, das Auto aus einem Schlagloch zu befreien, ich hätte da wirklich nicht aussteigen wollen. Kurz nach dem Tunnel werde ich ausgeladen und gleich wieder eingeladen - von eben diesen Arbeitern des Tunnels. Ich kann in ihrer Baracke übernachten. Da ist es alles andere als gemütlich, es ist aber schon fast finster und ich nehme gerne an. Der Tunnel liegt auf etwa 2700 MüM und wenn die Lastwagenkolonne nicht wäre, könnte man sich in diesen Bergen wie in einer Alphütte fühlen. Am nächsten Tag habe ich schon wieder einen Platten und dann überholt mich plötzlich ein Rad des Anhängers, gewinnt immer mehr an Fahrt und bleibt dann wenige Zentimeter vor dem Abgrund liegen. Wenn es da runter gefallen wäre und ich es je wieder gefunden hätte, wäre es sicher kaputt gewesen und es hätte mich den ganzen Tag gekostet, es zu holen. Und noch mehr Glück: der Grund für die Panne ist eine defekte Achse, ein Ersatzteil, welches ich am gleichen Abend in Dushanbe nach Hause geschickt hätte, da ich es als überflüssig eingestuft habe. So aber komme ich einige Polizeikontrollen später gut in Dushanbe an, das eine Restaurant hat es mir da besonders angetan. Der Typ an der Hoteltüre weniger, er arbeitet offenbar auch als Zuhälter, Taxi-Beschaffer, Stadtführer und weiss der Teufel was alles, immer bietet er seine Dienste ungefragt an. Als er zum dritten Mal nachfragt, wo sein Geld für das "aufs Velo aufpassen" bleibt, wird es ziemlich laut und von da an versteckt er sich immer, wenn ich komme. Sonst ist es aber eine wirklich nette Stadt mit vielen Springbrunnen, welche die Hitze etwas abschwächen. Nachdem ich auch das Paket abgeschickt habe (das ist eine Story für sich!) geht’s endlich in Richtung Pamir. Es gibt 2 Strassen dorthin, eine etwas besser, aber dafür länger. Eine davon soll geschlossen sein für 10 Tage, wegen irgendetwas. Ich frage überall nach, die Informationen sind widersprüchlich, zwei vertrauenswürdigen Stellen sagen aber, dass die Nordroute geschlossen sei. Also mache ich mich auf den Weg der etwas längeren Südroute entlang und je länger ich fahre, desto zuversichtlicher werde ich, da keiner ein Wort von geschlossen sagt. Nach 300 harten Kilometern aber dann das Stoppzeichen. Verdammte Scheisse, habe ich also doch die falsche Strasse erwischt! Zudem wurde ich von 4 Militaristen (Grenzwächtern) ausgeraubt. Ich dikutiere mit ihnen recht lange über so lächerliche Sachen wie ob ich das nun auf dem Passfoto sei oder nicht, schlussendlich soll ich 20 Kilometer zurück auf die Wache, oder Kohle abladen. Die Kamera ist nun das Problem. Ich trete in den Sitzstreik, die Stimmung ist recht explosiv, meine Ausrüstung und ansatzweise auch ich werden mit Schuhen traktiert. Irgendwann nimmt man mir unter Androhung von Waffengewalt mein ganzes Geld aus dem Portemonnaie und zieht ab. Ich glaube nicht, dass sie mich erschossen hätten, aber eine tracht Prügel war nicht mehr weit. Zum Glück waren die Idioten so dumm zu glauben, dass ich tatsächlich nur 7.50 Franken bei mir habe, obwohl erst in 500 Kilometer die nächste Bank kommt. So kommt mich dieses Ereignis geldmässig nicht sehr teuer zu stehen, da sie nur auf Bargeld und nicht noch auf weitere Dinge wie Kamera aus sind. Ich nage aber mehr daran, als mir lieb ist und glaube plötzlich, unter jedem Baum einen dieser Typen zu sehen. Die Baustelle kann ich übrigens irgendwann doch passieren und komme (fast) ohne weitere Zwischenfälle in das Dorf, wo die beiden Routen zusammenkommen und man jeden Tag westliche Velofahrer sieht. Wäre da nicht der Grenzwächter gewesen, welcher mit der Panzerfaust in die afghanische Felswand, welche hier nur 50 Meter entfernt steht, geschossen hätte, nur um mir zu imponieren. Ich bin tatsächlich beeindruckt, mehr aber darüber, welchen Kindsköpfen man hier Waffen in die Hand drückt! Ich habe ihn aber nicht angestachelt, das geschah in meinem Rücken!

Die restlichen 300 Kilometer bis nach Khorog kann ich dann richtig geniessen. Manchmal ist das Tal sehr eng mit unglaublich hohen Felswänden, immer wieder können aber die Leute der Schlucht einen grünen Flecken abringen und ein Dorf hinstellen. Immer, wenn ich in ein solches fahre, kommt eine Horde Kinder angerannt und schreit so laut sie können „Hello tourist!“ und ich klatsche unzählige kleine Hände ab. Wenn hie und da ein Bergbach die Flanke herunterstürzt gehe ich oft baden oder duschen (je nach Steilheit), das ist ungemein erfrischend, jedoch wird das Klima mit zunehmender Höhe auch erträglicher. Zwischen den Bächen gibt’s kein Wasser und gegen Abend stehen immer mehr Hirten an der Strasse und schütteln ihre leeren Petflaschen. Ich selber brauche zwischen 9 und 12 Liter pro Tag. Der Staub bleibt, vielerorts ist die Strasse unbefestigt oder defekt und schon nach kurzer Fahrzeit sehe ich wie ein paniertes Plätzchen aus. Und dann steht plötzlich wieder ein wilder Aprikosenbaum voll behangen mit den süssesten Früchten, ich schlage mir immer den Bauch voll und alle Strapazen sind vergessen. Zu campen getraue ich mich immer noch nicht so recht, ich traue diesen Grenzwächtern nicht und will keinen nächtlichen Besuch. Zudem stehen überall Warnschilder wegen Minen, ein Andenken aus dem Krieg, ich möchte nicht plötzlich eine Bombenstimmung im Zelt. Oft werde ich eingeladen, sonst kostet die Übernachtung zwischen einem und fünf Dollar. Ein weiteres (persönliches, kleines) Problem für mich ist, dass manchmal die Hirten oder Pistaziensammler schon um sechs, wenn ich aus dem Zelt krieche, vor dem Zelt kauern und wortlos jede meiner Bewegungen beobachten. Wenn ich dann noch für grosse Jungs muss, stehe ich vor der Wahl zwischen gesehen werden oder mein Gepäck und die Leute aus den Augen verlieren. Ich wähle dann die unbeobachtete Variante, als ich zurückkomme ist alles unverändert, auch die Stellung der Zuschauer. Khorog ist grösser als ich dachte und ich finde eine sehr gute Unterkunft, treffe da Axel aus Deutschland, welchen ich in Samarkand kennen lernte. Der kann mit seinem schwarzen Humor die dunkelste Nacht erhellen und erzählt folgende Story: Trifft er ein deutsches Paar auf dem Motorrad schwer beladen mit Gepäck. Stolz zeigt der Mann den Inhalt der einen Kiste, alles ist sehr gut organisiert und Axel fällt auf, dass schon alles Nötige in dieser Kiste ist. Auf die Frage, was denn in der andern Kiste sei, flucht der Typ etwas in den Bart, öffnet die Kiste und heraus fällt ein einziger riesiger Stoffhase, ohne diesen wäre die Freundin nicht mitgefahren! Weiter geht meine Reise nun definitiv in die Berge: mehrere 4000er Pässe, eine menschenleere Hochwüste und die Aussicht auf 7000 Meter hohe Gipfel warten auf mich, ihr werdet erst in 2-3 Wochen aus China wieder von mir hören.