Kappadokien
In der Nacht erwache ich und fühle mich hundeelend. Ich habe den Fischteich erwähnt und als ich fertig gegessen habe, schwimmt ein Fisch weniger darin herum. Nicht dieser ist schuld, viel eher war es der Salat, welcher mir in den nächsten Tagen ganz schön die Kräfte raubt. Erst probiere ich die mitgenommenen Medikamente aus, mit diesen kann ich zwar die Anzahl Toilettenbesuche reduzieren, meine Därme fühlen und hören sich aber an, als hätte ich da ein Sprudelbad eingebaut. Kiloweise Affengnagi (Bananen) nützen dann aber Wunder! Ich befürchte, dass das nur ein kleiner Vorgeschmack auf noch folgende Verdauungsstörungen sein könnte. Die Landschaft ist wunderschön, führt auf das Hochland über viele weite Täler, immer wieder ein Pass, breite Strassen und wenig Verkehr. Ich kann fast immer auf einer Art Pannenstreifen fahren und meine Gedanken schweifen lassen. Das übrigens erleichtert es manchmal schon sehr. Es kann recht zermürbend sein, wenn man die nächste Stadt schon sieht und genau weiss, dass es noch eine Stunde geht, bis man endlich eine Cola kaufen kann. Konya ist eine Stadt mit fast einer Million Einwohner, ich muss ein paar Sachen kaufen und will noch ein schönes Stück fahren, etwas ausserhalb kaufe ich noch Wasser, dann bin ich gerüstet für ein Camp irgendwo im Niemandsland. Der Tankstellen-Mann fragt mich, wo ich schlafe, es gäbe nichts mehr für die nächsten 100 Kilometer. Ich sage, ich werde mir hinter Büschen etwas suchen, worauf er mir zu verstehen gibt, dass mit „nichts“ wirklich nichts gemeint ist. Die Verständigung ist übrigens mehr mit Händen und Füssen denn mit Worten, wie ich später feststelle, hatte er aber Recht. Ich solle hier hinter dem Haus schlafen, lädt er mich ein. Da gibt es eine schöne Wiese und ich habe mich schnell entschieden seine Einladung anzunehmen. Als ich dann ins Zelt will, ich habe gerade die Zähne geputzt, fährt ein gepanzerter Kleinbus der Jandarma mit Blaulicht zu, vier Uniformierte steigen zügig aus und einer packt mich hart am Arm. Keiner spricht ein Wort Englisch, die Tankwarte erklären aber hastig, was für einer ich sei, ich selber verstehe nur Bisiklet (Fahrrad), dann werde ich am Arm zum Velo gezerrt, der Platz
wird von zwei Milchgesichtern hinter Sturmgewehren gesichert. Im Bus wartet mindestens noch ein Mann als Verstärkung, ich sehe es in der Dunkelheit nicht genau. Dann muss ich alles zeigen, der Typ lärmt immer unangenehm nah an meinem Gesicht rum, den Arm hat er endlich losgelassen. Ich glaube, dass er mich innerhalb einer Sekunde mit blossen Händen hätte töten können. Nun werde ich zum vierten Typ geführt, er ist der Übersetzer, kann aber auch kein Wort Englisch. Dafür hat er so ein doofes Englisch-Lernbuch, darin blättert er rum, bis es ihm der Grobian aus der Hand reisst und selber darin blättert. Dann deutet er in Unit 5 auf den Satz: „What’s your job?“ Ich antworte, ich sei Dentist und deute auf meine Zähne. Von jetzt an werde ich mit Dottore angesprochen und der Grobian zeigt mir sein abgefackeltes Dörfli im Mund, da
ist nicht mehr viel zu machen, das sehe ich auch ohne meine treue Lupenbrille. Unit 10: „Are you married?“ Die einzige Antwort im Buch: „No I’m single“ und ich deute darauf. Es wird weiter geblättert, vorwärts, rückwärts, ich stecke meine Nase auch ins Buch, die Situation scheint sich allmählich zu entspannen. Dann fährt der Grobe zusammen und macht „Buh!“ zu mir, das Milchgesicht hinter dem Sturmgewehr ist aber der Einzige, welcher erschrickt. Er hat auch noch die Nase ins Buch gesteckt. Ich habe bereits realisiert, dass ich nichts mehr zu befürchten habe, sonst hätten sie mich schon lange
mitgenommen. Und dann fährt noch die Polizei auf den Platz, wieder steigen vier Uniformierte aus, diese sind aber total easy drauf und man glaubt es kaum, selbst der Fahrer hat ein Glas Tee in der Hand. Diese sprechen nun gut Englisch. Es wird ein bisschen diskutiert und ich muss wieder alles zeigen. Einer der Jandarmen macht noch derbe Sprüche mit entsprechenden Zeichen, er wird aber von den Polizisten zurechtgewiesen. Hähä! „No Problem, very good“, sagen sie etwa zehn Mal und währenddessen verdrückt sich die Jandarma ohne ein Abschiedswort. Die Polizei ist hier übrigens nur für den Verkehr zuständig, für alles Andere sind es Jandarmen. Hier möchte ich kein schlechtes Gewissen gegenüber dem Gesetz haben, mit diesen Typen ist nicht gut Kirschenessen!
Am nächsten Tag muss ich auf das Turkmenische Konsulat in Istanbul anrufen und fragen, ob mein Antrag für das Transitvisum angenommen wurde oder nicht. Da war ich nämlich auch noch und man hat mir kurzerhand eine Kopie des Formulars einer Martina aus Sempach gegeben. Diese fährt auch mit dem Velo zusammen mit ihrem Freund nach China und war nur fünf Tage vor mir da. Ich schreibe also diesen Antrag Wort für Wort ab, sie haben genau dieselben Pläne wie ich. Ist auch kein Kunststück, durch Turkmenistan gibt es nur eine Strasse, welche in Frage kommt. Die E-Mail Adresse notiere ich mir (soviel zum Thema Datenschutz) und schreibe ihr am Abend eine Nachricht. Schnell kommt die Antwort und die ist nicht gerade gut: Sie waren knapp vor mir nochmals auf dem Konsulat und haben erfahren müssen, dass ihr Antrag wegen der Schweinegrippe abgelehnt wurde. Ich wüsste nicht, wie ich ohne dieses Visum meine Reise fortsetzen könnte. Es würde alle meine Pläne total über den Haufen werfen!
Obwohl ich mir keine Chancen auf Erfolg erhoffe, gelingt es mir, keine Gedanken an dieses Visum zu verschwenden, ich werde die Situation in Teheran neu beurteilen. Trotzdem rufe ich dann doch noch in Istanbul an, drei Tage später als befohlen. Es könnte ja sein… Und siehe da, mein Antrag wurde angenommen! Ich glaube nicht, dass ich es verstehen muss, können tue ich es sowieso nicht.
Am Abend darf ich auf der Wiese einer grossen Gartenwirtschaft übernachten. Etwa so habe ich mir als Jugendlicher immer den Garten Eden in Polo Hofers Song vorgestellt, hier wird einfach statt Wein Tee getrunken und der Erzengel ist ein dunkler Mann namens Hasan und keine Serviertochter. Ein paar junge Männer spielen Fussball, sie waren den ganzen Tag fischen. Gefangen haben sie nichts, obwohl der Einsatz gross war. Zwei sind ins Wasser gefallen. Oder gefallen worden. Sie laden mich ein, den gekauften Fisch mit ihnen zu teilen. Ich stelle mein Gemüse als Salat zur Verfügung. Die Fische wären schon längstens gar, es wird aber noch etwa eine halbe Stunde tüchtig weiter gefeuert. Ich erhalte den Ersten, der Grösste ist es. Fachmännisch will ich ihn zerlegen, da sehe ich, was rund um mich abgeht: da wird gefressen, dass man die Typen als Nachwuchstalente für die Terence Hill-Filme gebrauchen könnte! Ich will meinen Fisch drehen, peng, landet schon der Nächste auf dem Teller. Es wird gespuckt, gekodert, mit vollstem Mund gelacht, geredet und getrunken, geraucht und ich will mitmachen und rülpse laut. Keinerlei Reaktion. Das habe ich erwartet und esse weiter, immer hoffend, dass keinem ein Grat im Hals stecken bleibt und wir noch die Ambulanz brauchen. Das
bleibt uns aber erspart. Ich will mich hier in keiner Weise über diese Herren lustig lachen, sie sind grossartig, sehr anständig und ich kann den Gedanken nicht verdrängen, dass wir bei uns vielleicht auch manchmal besser etwas ungehobelter essen, dafür herzlicher miteinander umgehen sollten? Als ich zum Zelt komme liegen da zwei Brote auf meinen Sachen, obwohl ich mehrmals erklärt habe, dass ich bereits alles habe, was ich brauche.
Langsam kommt Göreme näher. Am Tag vorher habe ich mich in eine gute Ausgangslage
gebracht, ich werde das Dorf gegen Mittag erreichen, rechne ich mir aus. Doch als ich aufstehe, merke ich gleich, woher der Wind bläst. Schon nach wenigen Kilometern realisiere ich, dass es unter diesen Windverhältnissen Abend wird, bis ich da bin. Nach etwa der Hälfte der Strecke kommt wieder einer dieser steilen Anstiege und ein alter Lastwagen überholt mich nur wenig schneller als ich fahre. Ich halte mich an ihm fest, der Fahrer sieht es und lässt mir genügend Platz neben den Schlaglöchern. Leider habe ich aber einen kleinen Gang eingelegt und kann mit den Beinen nicht die Arme unterstützen. So reicht die Kraft nicht sehr lange. Als ich schon nach ein paar hundert Meter loslassen muss, bremst der Lastwagen, zwei Typen springen heraus und deuten, ich solle alles einladen und mitfahren. Das tue ich dann auch und steige ein. Zu viert sitzten wir nun in der Kabine, ich habe zwar einen immer noch angeschlagenen
und vor allem leeren Magen, trotzdem rauche ich mit ihnen Zigaretten, es macht sowieso keinen Unterschied, ob ich auch noch rauche oder nicht. Kotzübel wird mir, bleich und mit zittrigen Knien steige ich nach etwa 25 Kilometern wieder aus und brauche erstmals eine Pause von der Pause. Nach ein paar Bananen, Schoggis und Colas geht es wieder bedeutend besser und ich fahre die restlichen paar Kilometer noch selber.
Vom Anblick dieses Tals in Göreme bin ich total fasziniert, erst versuche ich verzweifelt, alles mit meiner Kamera festzuhalten. Es gibt ein paar gute Fotos, sie sind trotzdem ungenügend für diese Landschaft. Oftmals ist es bei Touristenattraktionen ja umgekehrt. Auch das Dorf fasziniert mich, eine schöne Mischung aus Kultur, praktischem Alltag und Tourismus. Für den nächsten Tag buche ich eine Fahrt im Heissluftballon, dann gehe ich ins Freilichtmuseum. Ich habe so etwas noch nie gesehen, all diese Höhlen und Kirchen und ganze Städte haben die Leute in den Boden gegraben! Viele der Höhlen sind immer noch bewohnt oder man hat vorne ein Gebäude angebaut. Als ich am nächsten Morgen um Viertel vor sechs aufstehe, traue ich meinen Augen kaum. 28 Heissluftballons zähle ich, ich denke aber, dass ich nicht alle gleichzeitig gesehen habe. Da alle schon in der Luft sind, macht mich das ein bisschen nervös. Hat er jetzt 25 vor oder 25 nach sechs gesagt? Ich werde aber abgeholt und wir fahren zu einem bereits wieder gelandeten Ballon, fliegen fast 90 Minuten kreuz und quer über die Region. Ich wusste nicht, dass man diese Ballone auch steuern kann und es ist sicher nicht einfach. Mein Pilot ist aber ein grosser Meister des Faches und wir landen direkt auf dem parkierten Anhänger, die vier Helfer am Boden müssen nur wenig am Korb zerren. Der Ballon hat übrigens kein Motor oder so! Er kann so Luken öffnen und die ausströmende Luft drückt uns in die gewünschte Richtung. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Wir tauchen ab in die Täler, die Felsen sind nur wenige Meter entfernt, der Korb berührt manchmal die Baumwipfel. Dann geht’s wieder hoch hinauf, in ein anderes Tal, da sinken wir wieder weit hinab und so weiter. Am Schluss gibt’s ein Glas Champagner. Als die ersten Piloten mit dem Gefährt aus Papier und Seide von den Brüdern Montgolfier von Paris aus in die umliegenden Weingüter flogen, haben sie zur Wiedergutmachung und zur Feier des Fluges mit den Bauern Champagner getrunken und so wird es noch heute gemacht. Auch wir sind bei einem Weingut gelandet, den armen Teufeln mit ihren Hacken gab’s aber nichts zu trinken. Morgen mache ich mich auf den langen Weg erst in den Nordosten der Türkei mit den hohen Bergen, etwa gegen Ende des Monats werde ich in den Iran kommen. Ich freue mich auf die kühle Frische da oben, hier werde ich langsam aber sicher zum Grillgut!