Istanbul bis Hierapolis

Istanbul. Das frühere Konstantinopel mit etwa 14-20 Millionen Einwohnern die grösste Stadt der Türkei, eine der ältesten noch bestehenden Städte der Welt und auch die einzige, welche auf zwei Kontinenten gebaut ist. Viel gibt es hier zu sehen, die Blaue Moschee wo Obama kürzlich war - darauf ist man hier ganz besonders stolz – den Galata-Turm und vieles mehr. Viel interessanter ist es aber, hier zum Coiffeur zu gehen.

Dem Fachmann fällt auf, dass ich ein potenzieller Kunde bin und ruft mich zu sich. Erst wird gemärtet. Das geht etwa so: ich frage nach dem Preis, er sagt 10 € oder 20 Lira. Ich winke ab, will gehen, er sagt, er mache es für 15 Lira. Ich sage, ich bezahle für Haare schneiden und Rasur 20 Lira. Darauf könne er nicht eingehen, 25 müsse er haben und wir sind uns einig, dass er es aber dafür gut machen müsse. Ich muss einige Minuten warten, bekomme natürlich diesen feinen Tee bis ich dran bin. Dann geht’s los: Das Haarewaschen ist eine Mischung aus Massage, Ohrfeigen und Körperpflege. Ist das überstanden, fliegen nur so die Fetzen und Fäcken, ich schliesse sicherheitshalber die Augen, die Ohren einziehen kann ich leider nicht.

Die Schere glüht schon fast vom Schneiden, jetzt wird noch Watte um sie gewickelt, in Alkohol getaucht und angezündet. Mit dieser Flamme werden die Haare auf den Ohren abgefackelt, danach zieht er mir einen Seitenscheitel und fixiert diesen sorgfältig. Die Rasur dauert länger als das Schneiden, vor allem das Einschäumen scheint sehr wichtig. Dann wird rasiert, zeitweise komme ich mir wie auf dem Zahnarztstuhl vor, er packt meine Lippen, greift in den Mund, zerrt an der Wange und so weiter. Dann werden die Nasenhaare geschnitten, die feinen Häärchen unter den Augen epiliert (das ist recht schmerzhaft, Respekt gegenüber denen, welche noch andere Haare so entfernen…), tausend Wässerchen und Salben und so ein komischer Stein werden eingerieben bis nichts mehr schmerzt oder blutet. Danach gibt’s Tee und ein Foto.

Oder die Sammeltaxi-Fahrer. Sie können Zigaretten rauchen, sind immer auf der schnellsten Spur, kassieren Geld ein, hupen jedem und allen, den Einen zum Einsteigen, den Anderen als Warnung und manchmal den hübschen Frauen. Anhalten tun sie eigentlich nie, zum Ein- und Aussteigen wird die Fahrt so lange negativ beschleunigt, bis man einen Sprung überlebt. Dass die Taxis handgeschaltet sind ist klar und es wird volle Kanne gefahren, je schneller, desto mehr Geld kommt rein. Das Allerwichtigste aber: immer cool aussehen und möglichst noch einen Arm lässig auf den Fensterrahmen legen, man hat ja nicht vergebens zwei davon. Schön, das zu erleben und zu überleben. Im richtigen Taxi will ich es wissen. Gespannt beobachte ich den Tachometer, um zu sehen, ob wir die 160 Km/h knacken (erlaubt wären 50). Ich tippe auf die Uhr und sage, dass ich es eilig hätte. Der Fahrer antwortet etwas mürrisch und sagt, dass es nicht schneller ginge, es sei eben schon ein altes Auto. Ich weiss nicht so recht, ob mich

diese Antwort wirklich beruhigt. Die Visa zu beschaffen war sehr unterschiedlich schwierig. Für das Usbekische und das Kirgisische brauche ich ein  Empfehlungsschreiben des Schweizer Konsulats. Also gehe ich zuerst dahin. Dann mit dem Bus in die Nähe des usbekischen Konsulates, weiter mit dem Taxi. Dort werde ich insgesamt drei Mal antraben, warte über 8 Stunden vor dem Konsulat, 2 Stunden auf der Bank für die Einzahlung und fahre über 9 Stunden mit Tram, Bus, Metro, Sammeltaxi, Taxi und Standseilbahn. Bis ich den Pass mit dem Stempel wieder in den Händen

halte, weiss ich nicht, ob es klappt. Als ich das dritte Mal komme, versuchen mich zwei Wachen zu verscheuchen, das Konsulat sei geschlossen. Ich bleibe aber hartnäckig und als die Wachen schulterzuckend abziehen, kommt der Herr mit einem Lächeln raus und drückt mir wortlos den Pass in die Hand. Das krasse Gegenteil erlebe ich bei den Kirgisen. 20 Minuten nach Betreten des Hauses habe ich das Visum im Sack, obwohl viele Leute anstehen. Ich habe aber Glück, der Rest der Woche wäre ich da vor verschlossenen Türen gestanden, denn die haben nur am Montag geöffnet.

Als ich endlich alle Visa zusammen habe, gehe ich mit Jean-Pierre aus Grenoble, Amie aus Kanada und einem Türken ins Ausgangsviertel von Istanbul in eine super Bar mit Live-Musik. Wir feiern und tanzen bis etwa um halb drei, um fünf muss ich aufstehen und auf die Fähre. Mit meinen 23 Jahren kann man sich eine durchzechte Nacht ja ab und zu noch gönnen! Die beiden Nicht-Türken stehen mit mir auf und verabschieden mich, sie wollen sehen, wie ich all mein Zeugs aufs Velo packe. Auf der Fähre zur Stadt raus muss ich dann ziemlich lange etwas Studieren, dazu lege ich den Kopf auf die Tischplatte…

Endlich zurück auf der Strasse. Und was für eine mich da erwartet! Ich komme trotz hügeligem Gelände in den ersten zwei Tagen knapp 320 Kilometer weit, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, trotz über 35° C und hügeligem Gelände. Ich gebe es zu, der Wind macht im Moment Rumänien mehr als wieder gut, denn dieses Mal bläst er in meine Richtung. Zum Mittagessen werde ich bei einer kleinen Bude vom Chef eingeladen, als der mich kommen sieht. Den Tee hinterher oder unterwegs erwähne ich nur noch in speziellen Fällen, es gibt ihn sowieso immer und überall. Ich komme an einem Naturschutzgebiet vorbei, welches ein ganz flacher aber recht grosser See ist. Die Grasinseln sind für Vögel ein Paradies und so heisst es denn auch. Hier wäre der Spruch, „di arme vögle im see“ fehl am Platz, erstens haben sie es hier schön und zweitens ist das Betreten verboten. Chusch drus?

Der Schlafplatz haut mich dann fast von den Socken. In den Hügeln finde ich ein Plätzchen direkt an einem herzallerliebsten Bach in einem Wald, ich gehe sofort baden. Das Wasser scheint sehr sauber und ist herrlich frisch, aber nicht kalt. Ich will ein Foto mit dem Selbstauslöser machen, leider komme ich immer zu spät auf den Stein, auf welchen ich mich setzen möchte. Ich kann zum ersten Mal ein Feuer machen, koche fein, dann gibt’s türkische Süssspeisen und türkischen Tee, unterdessen ist der Vollmond aufgegangen. Die letzten 24 Stunden alleine sind diese Reise wert! Aber es geht glücklicherweise weiter so: am nächsten Abend brauche ich noch Futter, muss deshalb schöne Plätze links liegen lassen und komme in dichter besiedeltes und landwirtschaftlich intensiv genutztes Gebiet. Keine Chance, irgendwo heimlich zu campen, es wird aber höchste Zeit, die Strasse zu verlassen. Bei einem grossen Haus spielen Kinder und ich frage, ob ich hier schlafen dürfe. Ich darf, werde erst zum Kaffee,

dann zu einem Spaziergang und am Schluss zum Nachtessen eingeladen. Der liegengelassene Käse vor dem Zelt wird auch verputzt, aber nicht von mir.

Heute erreiche ich Pamukkale und für einmal existiert ein auf der Karte eingezeichneter

Campingplatz tatsächlich. Es gibt zwar gerade genügend Platz für mein kleines Zelt, ein zweites hätte nicht mehr Platz. Und ich habe das Gefühl, dass ich seit langer Zeit der erste Camper bin.

Aber der Pool ist 25 Meter lang, es hat einen Sprungturm, es gibt eine warme

Mineralwasserquelle, einen schönen Fischteich und ein Thermalbad. Zudem kann ich meine Kleider waschen. Das konnte ich zwar schon in Istanbul, inzwischen ist mir aber eine Tafel Schockolade über die ganzen Kleider geschmolzen und wurde während der Fahrt gut einmassiert. Dass der Schmelzpunkt von Schoggi an der Sonne überschritten wird, lernt man zwar in der Koch-Gewerbeschule, ich habe aber da offenbar nicht so aufgepasst.

Nach dem Bad gehe ich die Pamukkale-Travertines und die antike Stadt Hierapolis anschauen. Man sieht es schon von Weitem weiss leuchten und ich werde nicht enttäuscht. Eine durchaus sehenswerte Spielerei der Natur zusammen mit etwas Archäologie. Ich werde Morgen meine Fahrt in Richtung Osten fortsetzen, mittelfristiges Ziel ist jetzt Kappadokien. Ich werde darüber berichten.