Im Iran vom Winde verweht

Die Fahrt an die Grenze ist von heftigem Gegenwind und der Hoffnung, den Ararat doch noch ganz zu sehen, geprägt. Er trägt sein Kopftuch heute aber den ganzen Tag, wie die Frauen in dem Land, welches ich nun betrete. Der Grenzübertritt ist völlig unkompliziert und sehr freundschaftlich. Händchenhaltend spazieren der Zöllner und ich zum Velo, er betrachtet alles, dann gehen wir umarmt wieder zum Zollhaus. Campen sei kein Problem, überall und immer sei es erlaubt und ungefährlich. Wie wahr, in der 2. Nacht habe ich mitten zwischen picknickenden Familien in einem Stadtpark mein Zelt aufgestellt, absolut kein Problem. Endlich, endlich fühle ich mich richtig in der Fremde. Wüste den ganzen Tag, Strassenschilder, welche ich nicht lesen kann (verstanden habe ich sie oft auch nicht, wenn ich sie lesen konnte) und überall gibt es die wunderschönsten Plätze zum Campen. Am Tag wird es recht warm, es ist aber mit dem Fahrtwind auszuhalten. Und über die heisseste Zeit mache ich Pause, fast immer finde ich einen Wasserspeicher für die Bewässerung einiger Quadratmeter und da gibt es auch ein- zwei Bäume, unter welchen ich dann ein bisschen knurre oder die Wolken

beobachte. Manchmal wieder wegdösend, manchmal tagträumend. Und wenn ich dann am Abend irgendwo auf einem Hügel den Sonnenuntergang bei einer Tasse Tee beobachte und hinter mir schon der Mond aufgegangen ist, stellt sich ein tiefes Glücksgefühl ein. Am Morgen erhalte ich mehrmals Besuch von Schaf- und Ziegenhirten, leider können wir uns aber überhaupt nicht austauschen. Das ist wirklich Schade, Gespräche, welche mehr als „Wasser, Brot, Banana…“ beinhalten, sind selten möglich. Sehr gerne würde ich mehr über ihr Leben erfahren.

Komme ich in eine Stadt, ist es zwar mit dem Frieden im Verkehr vorbei, unglaublich chaotisch wird hier gefahren, aber die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Bevölkerung ist wirklich nicht zu glauben. Ich werde immer und überall eingeladen, viele Autos halten auf der Strasse, schenken mir eisgekühlte Früchte und Getränke und fragen immer, ob sie etwas für mich tun können. Sie können sie meistens nicht, mir fehlt es an nichts. Zudem brauche ich fast kein Geld, ich komme mit weniger als 5 Franken pro Tag gut über die Runden. Zum Glück, ich werde es noch gut gebrauchen können! In Tabriz treffe ich Rennvelofahrer, einer nimmt mich mit nach Hause und ich verbringe mit ihm und seiner Familie den ganzen Sonntag im Park und in ihrem Haus. Er schenkt mir das Leadertrikot, welches er an einem Asiencup mal erhalten hat, ich trage es von nun an jeden Tag. Andere schenken mir Sonnenbrillen (2 bekomme ich geschenkt) und vieles mehr. Die Lastwagenfahrer können nicht begreifen, warum ich nicht mit ihnen mitfahren will und es vorziehe, bei dieser Affenhitze zu radeln. Ach ja, die Lastwagenfahrer. Wenn mal einer nicht hupt, um „Salam“ zu sagen, fehlt etwas. Selbst die entgegenkommenden Lastwagen hupen die meistens, auch wenn die Fahrtrichtungen weit voneinander getrennt sind.

Vor Esfahan werde ich von 3 Jungs eingeladen. Sie freuen sich auf die doofe Serie, welche hier immer läuft, ich habe immer noch nicht herausgefunden, welches die Guten und welches die Bösen sind. Obwohl ich jetzt schon manche dieser Sendungen angesehen habe. Es wird wohl eine GZSZ Sendung mit chinesischen Kampfrittern sein. Jedenfalls bei den erwähnten jungen Männern fällt der Strom am Anfang der Sendung für lange Zeit aus, als er wieder da ist,

kommen auf allen sechs legalen Sendern Gebete und Gottesdienste. Man schaltet den

verbotenen Receiver ein und was schaut man? Kontaktanzeigen von Frauen aus den Ländern, welche bei mir noch auf dem Reisemenu stehen. Gegessen, diskutiert und geschlafen wird alles im gleichen Raum am Boden. Zum schlafen nimmt man einfach eine Wolldecke als Matte,

eine als Decke und ade. Nicht dass sie sehr arm wären, sie machen es einfach so. Und wieder ist der unglaublich zärtliche Umgang untereinander auffällig. Bei uns wäre ein solches verhalten unter Männern ausser in der einen Szene völlig undenkbar, auch ich fühle mich etwas unwohl, wenn einer einfach seinen Kopf auf meinen Schoss legt. Warum eigentlich?

Ich habe meine Zeit gut eingeteilt und will kurz vor Esfahan mein Zelt für vorläufig das letzte Mal aufstellen. Danach habe ich zwei Tage in dieser Stadt, wo alle sagen, dass es die Schönste weit und breit sei, später werde ich nach Teheran und eine Woche in die Schweiz gehen, wo mein Gotteli getauft wird. Es sind aber ein paar Wolken aufgekommen und der Wind bläst noch recht stark, er wird sich erfahrungsgemäss in der nächsten Stunde legen. Ich finde eine grosse Olivenölbüchse, setze mich darauf und esse erst mal was. Währenddem sehe ich weiter weg Windböen, welche viel Staub aufwirbeln, es sieht beeindruckend aus. Ich bin ausserhalb dieser Zone und sowieso leicht windgeschützt positioniert. Wie gedacht legt sich aber der Wind bald,

ich stelle mein Zelt auf und richte mich ein. Ich bemerke nicht, dass von hinten eine dunkelgelbe Wand auf mich zurast. Mit aller Kraft versuche ich das Zelt zu retten, zum Glück habe ich das Velo noch nicht entladen. Ich werde mit dem Zelt über den Boden geschleift, höre, wie mir die grosse Büchse über den Kopf weggewindet wird, lege mich mit alle Vieren ausgestreckt aufs Zelt. Der Wind dauert nur einige Minuten, doch natürlich ist das Velo umgefallen und die Tasche mit dem Reisepass, Flugtickets, Kamera und andern wichtigen Dingen ist aufgesprungen. Sofort bemerke ich, dass der Pass und die Flugtickets fehlen. Ich suche 3 oder 4 Stunden verzweifelt, es ist hoffnungslos. Nicht den kleinsten Fötzel finde ich, ja nicht einmal die Olivenölbüchse, welche man auf diesem Harten Wüstenboden über weite Distanzen sehen müsste. Nichts, ausser plötzlich zwei Hunden, welche mich immer knapp ausserhalb der Wurfweite von Steinen bellend begleiten. Den dramatischen Sonnenuntergang sehe ich kaum,

ich suche immer verzweifelter.

Als es dunkel wird, setze ich mich aufs Velo, will zu einem Lastwagenstopp, wo einer mein „Freund“ ist und vorher nichts helfen konnte. Jetzt könnte er. Nach wenigen Metern stoppe ich, gehe zurück, suche nochmals noch weiter mit der Stirnlampe. In meiner Verzweiflung muss ich immer öfters weinen, ich beginne zu begreifen, was dieser Verlust bedeutet. Aber ich erahne noch nicht, wie schlimm es wirklich werden wird. Im Moment denke ich noch, dass es schlimm ist, nach Hause zu müssen, das wird sich noch ändern.

Ich komme aber nicht bis zum Lastwagenstopp, vorher an einer Zahlstelle winke ich einem nahendem Auto. Es wird sofort angehalten, 5 Personen sitzen in dem Kleinwagen und alles ist mit Gepäck vollgestopft, sogar der Dachträger. Trotzdem überlegt der gute Tropf, wie er mich nach Teheran bringen könnte. Ein anderes Auto hält, jetzt gibt’s erstmals etwas zum Essen und natürlich Tee. Dazu breitet man eine Decke mitten auf dem Asphalt aus, zieht die Schuhe aus und isst und plappert und lacht, sagt, mein Problem sei kein Problem, in zehn Jahren werde das eine wichtige Erfahrung für mich sein. Ich möchte es gerne glauben, kann diesem positiven Aspekt aber noch nicht viel Sympathie entgegen bringen. Dann hält ein Mann mit einem Pickup und nimmt mich ohne lange zu fragen mitten in der Nacht in das 400 Km weit entfernte

Teheran, Geld lehnt er mehr als drei Mal ab (beim 3. Mal darf man es annehmen, vorher wäre es unanständig). Eine Tankfüllung für 2 Franken darf ich bezahlen. Jawohl, 2 Franken, da fehlt keine Null und ich habe mich nicht verrechnet.

Die Iraner sind also nicht nur in unbesorgten Zeiten sehr hilfsbereit, im Ernstfall scheint ihnen keine Anstrengung zu gross zu sein! Allerdings muss ich in Teheran morgens um vier die Hotelsuche aufgeben. Ohne Pass will mich hier keiner, die Angst vor dem Gesetz ist zu gross. Und nun rentiert es sich auch nicht mehr, ein Hotel zu bezahlen. In einem kleinen Park lege ich

mich auf die einzige freie Bank, doch die Mücken drohen mich aufzufressen. Die alten Hasen hier haben nichts ausser ein Töff und ein Moskitonetz. Also stelle ich mein Zelt auf, die Sprinkleranlage sorgt aber für ein nasses Erwachen schon nach einer Stunde. Am Vormittag kann ich mich dann in einem schäbigen und extrem unfreundlichen Hotel mit einer Notlüge einquartieren. Als sie es merken, bin ich schon installiert und sie werfen mich zum Glück nicht raus. Doch nun beginnt der richtige Horror. Mit dem Taxi zur Botschaft und dann auf eine viertägige Fahrt kreuz und quer durch die 15 Millionen-Stadt mit dem weltweit bekannten Verkehrschaos. Am Schluss bin ich 5 Mal bei der Botschaft, auf 2 verschiedenen Gerichten, 3 Mal bei der Fremdenpolizei, 4 Mal bei der normalen Polizei, auf der Bank um Gebühren zu zahlen, und auf Ämtern, von welchen ich nie wissen werde, was ich da haben muss und X-Mal an einem falschen Ort. Innerhalb dieser Institutionen werde ich von einem Ort zum nächsten geschickt. Ich brauche vier volle Tage, bis ich alle Unterlagen habe und ohne meinen Taxifahrer

währe es völlig unmöglich gwesen. Er fährt mich nicht nur, er ist ein sehr geschickter

Vordrängler in unendlich langen Warteschlangen, kann entweder den treuen Hundeblick oder den sturen Bock spielen und wird erst am letzten Tag nervös. Zum Glück schiesst mir die Botschafts-Frau noch 100$ aus ihrem privaten Portemonnaie vor, sonst wäre ich finanziell um ein Haar aufgelaufen, obwohl ich dem Taxifahrer nur 10$ pro Stunde bezahlen muss. Die Behörden sind immer sehr freundlich und ich werde trotz den Warteschlangen oft sofort behandelt, fast überall gibt es Tee und Guezli, aber die Bürokratie ist unglaublich. Und wie gesagt, ich werde extrem vorzüglich behandelt. Die armen Teufel, welche hier als „normale“ Iraner etwas möchten, mit denen will ich nicht tauschen. Und schon gar nicht mit den illegalen Einwanderer aus den selben Ländern wie die Frauen der Kontaktanzeigen im Satelliten-TV.

Wie Schafe zusammengetrieben hocken sie für Stunden am Boden, dürften zwar reden, tun es aber nicht. Nach der letzten Sekunde erhalte ich den letzten Stempel, der Chef dieser Behörde hat bis nach Ladenschluss auf mich gewartet und mir dann sogar seine Visitenkarte gegeben, falls es am Flughafen Probleme geben sollte. Darauf kann ich mir etwas einbilden!

Der Taxifahrer hat dann aber am Schluss ganz unbescheiden bemerkt, dass er als Dankeschön nebst dem Geld gerne einen Laptop aus der Schweiz habe. Erst habe ich ein bisschen gestaunt über diesen Preis, doch wenn ich mir überlege, dass ich ohne ihn einen neuen Flug mit Velo etc, weitere Hotelnächte und vieles mehr zu bezahlen gehabt hätte, ist ein kleines Reisecomputerli vielleicht gar nicht so viel verlangt. Nun bleiben mir die 100$ der netten Lady auf der Botschaft noch 17$. Das war äusserst knapp! Allerdings muss ich auch sagen, dass ich 12 Adressen von Teheraner habe, wo ich gerne aufgenommen würde und welche mir auch Geld leihen würden. Eine Frau hat mich sogar im Hotel angerufen, ich habe keine Ahnung woher sie meine Wohnadresse hat, sie habe mich vor der Botschaft gesehen. Wahrscheinlich hat sie mit dem Taxifahrer gesprochen.

Ich bin so froh, endlich ausreisen zu dürfen, dass mich das Ende der Reise wohl erst später so richtig betrüben wird. Bis jetzt hatte ich schlicht wichtigere Sorgen, als darüber zu grübeln, wie es weiter geht. Ich weiss nur, dass ich einen neuen Pass brauche und mit ihm würden alle Visen neu zu beantragen sein. Zudem würde jetzt mein ganzer Zeitplan auf den Kopf gestellt. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass ich mir das antue. Weiter sind die Grenzen nach Turkmenistan im Moment geschlossen, wegen dieser Schweinegrippe. Visa hin oder her. Und China gibt nur einen Monat, viel zu kurz, um durch den Tibet zu radeln. Meine Reise nach Thailand fortzusetzen erscheint mir im Moment wirklich sehr unwahrscheinlich. Ich habe den politischen Aspekt zwar als schwierig eingeschätzt, aber offenbar nicht genug.

Ich werde in einiger Zeit schreiben, wie es für mich weitergeht, im Moment habe ich einfach keine Ahnung, ich befinde mich ein bisschen im Luftleeren Raum, mag nicht grübeln, sonst muss ich immer weinen.

Mir ist bewusst, dass ich die Organisation der Ausreise zu schwer gewichte in diesem Bericht ich sollte viel mehr über dieses grossartige Reiseland berichten. Zum Beispiel, wie die Frauen sich mit dem Kopftuch auszudrücken wissen. Während sich einige richtig an ihre Kopfbedeckung klammern und sich sofort abdrehen, wenn man hinschaut, gibt es viele Frauen, welche ihr Spiel perfektioniert haben: Augenkontakt herstellen, dann wegschauen und sich mit dem kleinen Finger am Ohr kratzen, natürlich verrutscht dabei das Tuch und noch mehr Haar kommt zum Vorschein, dann wieder Augenkontakt und das Tuch schon fast lasziv zurecht rücken. Oder die Helfer sollte ich beschreiben, welche sofort zahlreich erscheinen, wenn man mit auf der Strasse gesammeltem Karton mitten auf dem Trottoir ein Velo zerlegt und verpackt.

Einer ist Polizist, er befielt meine Anweisungen weiter. Die Pedalen zu entfernen ist schwieriger als gedacht, der, welcher schliesslich einen Hammer auftreibt und mit geübten Schlägen auf den Schlüssel das Problem löst, wird als Held gefeiert. Ein kleines Fest wird es, als ich endlich zufrieden bin. Alle stehen fachmännisch um die Kiste, die hupenden Busfahrer, welche sich behindert fühlen, werden ignoriert. Ich will Cola und alkoholfreies Bier (sehr verbreitet hier) bezahlen, ein Einziger nimmt an und lässt aus Anstand die Hälfte stehen.

Oder der Wind, welcher am Abend so heftig bläst, dass selbst die Töfffahrer langsamer und vorsichtiger fahren. Ich stehe nur ein paar Meter daneben, als ein recht grosser Baum knickt und einen Töfffahrer trifft. Dieser Stürzt und sein Bein schmerzt, dann wird der Baum zur Seite geschoben und weiter geht’s.

Und die Stadtparks, welche Treffpunkt, Sport- und Freizeitstätte sind. Überall gibt es

Fitnessgeräte, welche rege genutzt werden, bis spät in die Nacht. Daneben Kinderspielplätze, wenn ich mein Zelt da aufstelle, kommen immer die Väter erst ein bisschen plaudern, dann präsentieren sie die Kinder und dann kommt sich auch die Frau vorstellen.

Irgendwie ist das aber alles schon ewig her und die Taxi-Tage noch viel zu frisch. Ich werde diesen Bericht wahrscheinlich überarbeiten...

Bis morgen in der Schweiz (hoffentlich)!