Von Wien nach Belgrad
Nachdem ich gestern zum zweiten Mal mehr Glück als Verstand hatte, kam ich noch am selben Nachmittag in Belgrad an. Etwas überrascht von der Grösse und dem schon recht fremdländisch anmutenden Verkehrschaos, gepaart mit Sprach- und zunehmend auch Leseschwierigkeiten (Kyrillisch), gestaltet sich die Unterkunftssuche recht abenteuerlich. So hilft mir ein Typ nach seiner Wegbeschreibung gleich, meine sieben Sachen über die Gleise nahe dem Hauptbahnhof zu schleppen. Aber der HB hier ist etwa mit Langnau zu vergleichen, also alles halb so wild. Ich frage mich nach einer Jugendherberge durch und siehe da, ich spreche den Chef von gleich zwei Jugis an, er führte mich persönlich hin und ich habe ein eigenes Zimmer mit Internet und allem drum und dran. Diese Jugi hier ist erst gestern aufgegangen und ich bin der erste männliche Gast. Da ich das Tajikistanvisum in Wien viel schneller als erwartet erhalten habe, mache ich mich schon am Karfreitag wieder auf den Weg nach Osten. Leider habe ich von Wien kein einziges Foto. Aber es gefällt mir so gut, dass ich sicher wieder einmal hierhin komme und dann kann ich ja alles knipsen. So aber lasse ich mich treiben, trinke einen Kaffee hier, ein Bierchen dort. Der Weg durch Wien gestaltet sich auf den super ausgebauten Velowegen wie "vo Chile hei". Man merkt kaum, dass man sich in einer Grossstadt befindet, fährt auf der Donauinsel im schönen Park und ehe man es merkt, ist man durch. Danach kommt ein grosses Naturschutzgebiet, wunderschön, leider ist aber die Donau über die Ufer getreten. Der Veloweg weiter unten ist nicht mehr befahrbar. Ich bemerke das kleine Schild nicht, aber ein aufmerksamer älterer Herr fängt mich ab und bietet mir an, ihm zu folgen. Ich solle einfach auf diesem Damm fahren, sagt er später, dann komme schon bald ein schönes Restaurant. Nun, der Damm hat überhaupt keinen Weg, also fahre ich etwa 6 Kilometer über Gras und auch durch Gebüsch. Als ich bei besagter Beiz vorbeifahre, hat der Herr von vorhin sein Bier schon ausgetrunken. Und es ist nicht etwa so, dass er schon vorher schneller unterwegs war als ich! Bratislava sehe ich nur von Weitem, aber der wirklich schöne und breite Veloweg, weit ab vonjedem motorisierten Gefährt, ist voll von Leuten mit den verschiedensten Fortbewegungsmitteln, die meisten mit Rollerblades. Es ist ein richtiges Volksfest hier, immer wieder eine Partyhüttemit Grilladen und viel Bier. Die meisten fahren in Badehosen oder Bikini. Und wie es angefangen hat, hört es wieder auf. Plötzlich bin ich wieder alleine, auf einer der grössten Staumauern von Europa. Während 17 Kilometern fährt man auf einem Damm, welchen die Slowaken links und rechts 18m hoch aufgeschüttet haben, um dann auf freiem Feld Strom zu erzeugen.
Am Abend übernachte ich über einer Disco. Während ich nur das Gefühl habe, auf der Tanzfläche zu schlafen, ist mein Gepäck tatsächlich mittendrin. Was am Nachmittag wie ein Abstellraum ausgesehen hat, ist am Abend der Tanzraum. Aber es fehlt nichts, nur der Velocomputer wurde offenbar kontrolliert. Später dann, in Ungarn, verfahre ich mich zünftig bei Budapest. Ich verpasse es, im richtigen Zeitpunkt wieder auf den vorgeschlagenen Weg zu wechseln, der Jetzige ist einfach zu schön! Aber nicht lange. Und jetzt wird die Wegsuche wild, alle auf meiner Karte eingezeichneten Strassen auf dieser Seite der Donau wurden zu Autobahnen ausgebaut. Mit Hilfe eines Krokis, für dessen Fertigstellung sich ein Ungare etwa 3/4-Stunden Zeit genommen hat, fahre ich einmal mehr über Stock und Stein, zeitweise mit einem Rudel streunender Hunde kämpfend, in Richtung Donau zu einer Fähre. Die Wegbeschreibung erweist sich als perfekt, ich hatte etwas Zweifel. Die Fähre: Zwei Autos haben Platz, oder ein Velo mit Anhänger und ein Auto. Auf der Abfahrrampe muss der Kapitän so lange hüpfen, bis sich die Auffahrrampe im Sinne eines Gigampfis hebt. Dann schleppt ein Bootli die Autos auf die Donau raus, alle Befestigungen werden gelöst (wir treiben auf der Donau), das Bootli dreht sich, wird wieder befestigt und schleppt uns nun über den Strom. Dann knistert der Lautsprecher und in einer Lautstärke, dass man es in Budapest noch hört, sagt der Chef, ich solle ans Steuer kommen, er mache ein Foto von mir. Den treibenden Baumstamm, auf den wir geradewegs zusteuern, hat er wohl übersehen. Ich versuche auszuweichen, das Boot dreht aber in die falsche Richtung flussabwärts und wir brauchen ziemlich viel Zeit, um Gegenstrom die Anlegestelle doch noch halbwegs zu erreichen. Das wegfahrende Auto und die neuen Gäste kommen alle unten auf und zerkratzen ihre Karossen. Nur meine Ausrüstung nimmt keinen Schaden. Hähä…
Eigentlich wollte ich ja weiter nach Kroatien fahren, ich muss aber feststellen, dass sich der Umweg ausschliesslich auf stark befahrenen Strassen nur für den Katastrophentourismus nicht lohnt. Diese besonders hart getroffene Region hat sich noch sehr schlecht von diesem grausamen Krieg erholt, es sollen noch zahlreiche zerschossene und abgebrannte Ruinen mitten in den Dörfern stehen. Ich gehe lieber einmal den schönen Teil Kroatiens beaugapfeln. Ich fahre also direkt nach Serbien und erhalte endlich meinen ersten Stempel dieser Reise in den Pass. Nachdem es die vergangenen Tage bis 32° warm wurde, ist es plötzlich wieder kälter und gegen Abend beginnt es zu regnen. Ich packe mich gut ein, fahre bis zur Dämmerung. Nach diesem Dorf suche ich mir einen Schlafplatz, denke ich, und werde von zwei Typen in einer Gartenbeiz zu ihnen gepfiffen. Ich trinke ein Bier mit ihnen und bevor ich es realisiere, wird bereits das Nächste serviert. Ich müsse dann noch einen Schlafplatz organisieren, sage ich etwas direkt, beide bieten sofort einen an. Sie diskutieren, welcher besser wäre für mich, es geht aber mehr darum, welcher von beiden das bessere Haus hat. Natürlich ist es der Lautere, welcher auch etwas Deutsch kann. Ich hoffe, dass ich nicht bis in alle Nacht mit ihnen Bier trinken muss, das Gesprächsthema wird immer schwieriger und ich merke, dass ich ihre Ansichten in keiner Weise teilen kann. Plötzlich befinde ich mich auf recht dünnem Eis, ich muss mehrere Male vorgeben, nichts zu verstehen. Zudem gibt mein Gastgeber immer mehr an, welch starker Mann er sei, mit vielen Häusern, fünf Kindern und einer guten Frau. Zum Glück habe ich gesagt, dass ich erst 23 sei, die Leute hier können mit 31-jährigen unverheirateten Männern, die sich auf einer Veloreise nach Tahiland befinden, nicht viel anfangen. Plötzlich will er gehen, er habe noch ein Rendez-vous mit einem kleinen hübschen Fräulein. Ins Puff ist er gegangen! Ich erinnere ihn daran, dass ich bei im schlafe, er kommt mir den Schlafplatz zeigen. In einer Bauruine, zusammen mit seinem Knecht auf dem Sofa, welches aus dem Abfall stammen muss, übernachte ich dann. Dieser arme Teufel (der Knecht) macht keinen Mucks, als der Chef, sehr betrunken, einen fremden Bierkumpel in sein „Bett“ befielt. Er schaut im TV das Ameisirennen, welches immer dann kommt, wenn man kein Signal erhält, raucht Zigaretten und lauscht dem Gekröse, welches aus dem Fernseher kommt. Ich weiss nicht, ob man das Fenster hätte öffnen können, es bleibt geschlossen. Aber das ganze Zeugs stinkt sowieso derart nach Rauch, dass mich mein Schlafsack wohl noch lange an diese Nacht denken lässt. Am Morgen stehe ich mit ihm auf, er macht mir im „Büro“ unten ein Getränk, welches er Kaffee nennt. Abgebrühter Schafmist wäre geschmacklich wohl vergleichbar. Dann kommen die andern Arbeiter. Einer nimmt sofort einen Schnaps, alle warten rauchend auf den Chef. Nach 15 Minuten holt die Schnapsnase die Flasche an den Tisch, schenkt jedem ein und sagt, das mit dem Chef könne noch dauern, er sei wohl im Puff. Die anschliessenden Sprüche verstehe ich zum Glück nicht, dass sie derb sind, begreife ich aber. Scheint nichts Aussergewöhnliches zu sein, dass des Meisters Manneskraft doch nicht ganz dem Angepriesenen entspricht und es ihn mehr beansprucht als er sich wünscht! An der Wand übrigens, neben dem Bild von Tito, sind alle vom Internationalen Kriegstribunal in Den Haag gesuchten oder verurteilten Kriegsverbrecher Serbiens als Helden abgebildet. Froh, wieder gehen zu können, mache ich mich auf einer sehr stark befahrenen, engen Strasse in katastrophalen Zustand (die Strasse) in Richtung Belgrad auf. Es geht seit vielen Tagen das erste Mal wieder etwas auf und ab. Wegen dem starken Verkehr kann ich den Schlaglöchern, aus denen die Strasse fast ausschliesslich besteht, nicht ausweichen und ich werde geschüttelt und gerührt. Nach einer steilen Abfahrt beginnt der nächste Anstieg. Ich merke, dass etwas mit dem Anhänger nicht stimmt und halte. Der Deichsel hält nur noch an einem „seidenen Faden“, ist gebrochen! Ich will das Velo etwas von der Strasse wegschieben, dann bricht er vollends. Kein einziges Schlagloch hätte es mehr ertragen! Da ich Anhänger und Velo aus einem praktischen Grund zusätzlich verbunden hatte, bin ich nur mit extrem viel Glück einem sicherlich schweren Sturz auf wie gesagt dicht befahrener Strasse um Haaresbreite entkommen. Und ich habe noch mehr Glück. Der Deichsel ist an einer Stelle gebrochen, wo ich auf der grossen Baustelle nebenan nur ein Loch zu machen brache und anschliessend gleich weiterfahren kann. Die Baustelle steht während dieser Zeit still, alle beobachten den Chef, wie er das Loch bohrt. Der Anhänger war sowieso schon mein Sorgenkind, ich habe deshalb dem Hersteller eine E-Mail geschrieben und gefragt, ob dieser eine solche Reise aushalte. Die grossspurige Antwort stimmte mich nicht sehr optimistisch (Mein Velo sei vor dem Anhänger Schrott). Nun kenne ich das Ergebnis, ich werde einen andern kaufen müssen, diesem hier traue ich noch den Weg bis Teheran zu - allerhöchstens. In Belgrad, eine der ältesten Städte Europas und die 26-grösste der Welt dazu, nutze ich erst einmal das Internet, stürze mich ins Stadtleben, gehe dick essen (Gemüse!) und schlafe herrlich. Diesen Bericht schreibe ich jetzt im neuesten Teil der über 7000 Jahre alten Festung und habe Aussicht über die ganze Stadt. Die Stadt gefällt mir sehr gut, ich wohne bei der Fussgängerzone und geniesse es in vollen Zügen. Es wird hier schon spürbar früher hell am Morgen und am Abend auch früher dunkel. Es dauert nicht mehr lange und ich überfahre die erste Zeitzone!
Morgen werde ich mich auf den Weg ans Schwarze Meer, nach Varna, machen, von wo ich mich auf einem Frachtschiff nach Georgien einschiffen möchte. Das sind zirka 1000 Kilometer und ich habe keine Ahnung, wie die Internetversorgung bis dahin ist. Von da werdet ihr aber spätestens wieder von mir hören!
Bis dann.