Ankunft an der Donau
Gestern Mittag habe ich Wien nach 70 locker-flockigen Kilometern erreicht. Nachdem ich das Zelt aufgestellt und geduscht habe, gehe ich schon mal bei der tajikischen Botschaft vorsprechen und schon heute Nachmittag kann ich mein Visum abholen (vor Ostern!)gehen! Doch alles schön der Reihe nach: In Zernez werde ich im Hotel wunderbar versorgt und ich bekomme sogar noch Sandwiches und Schoggi mit auf den Weg. Frisch gestärkt wage ich also den Grenzübertritt in die EU und muss da dem österreichischen Zöllner alles ganz genau erklären. Nicht aus Misstrauen, sondern aus Neugierde fragt er mich ein bisschen über meine Reisepläne aus. Er empfiehlt mir, nicht den Radweg, sondern die Hauptstrasse zu benutzen bis Landeck. Eine wunderbar breite Strasse - nach 30 Kilometern bin ich mir aber endlich sicher, dass es eben doch eine Autostrasse ist, wie mir meine Karte versichert hatte. Weitere nun härtere 40 Kilometer später bemerke ich, dass ich am Schweizer Zoll mein Portemonnaie habe liegen lassen. Karten, ID, Geld, Führerausweis: alles weg! Meine Stimmung sinkt auf unter Null, da ich mir recht sicher bin, das Zeugs hinten auf den Gepäckträger gelegt zu haben, nachdem ich im Grenz Shop etwas gekauft hatte. Der kann überall liegen! Meine Basisstation zu Hause (Barbara) findet die Telefonnummer raus, ruft an und siehe da, das Portemonnaie wurde abgegeben. Am nächsten Tag kann ich es mit dem Bus holen. Dieses Mal muss ich aber dem Schweizer Zoll alles ganz genau erklären, und das vor versammelter Busmitfahrerschaft. Das Anfertigen einer Passkopie macht ihn aber glücklich. Er hat mich aussteigen, etwas holen und gleich wieder zurückfahren sehen, das hat ihn misstrauisch gestimmt und er kontrollierte, ob ich auch keinen Dreck am Stecken habe. Ich habe mich noch nicht ans langsame Tempo gewöhnt. Am Abend stimmt zwar die Anzahl gefahrener Kilometer auf dem Zähler, ich komme aber gefühlsmässig schlecht voran. Und immer dieser Gegenwind: nicht nur macht er einen langsam (das macht 10-15 Km/h aus), es ist laut und man hört die Autos spät. Zudem ist es kalt und am Abend ist die Campingplatzsuche aufwendig, da die meisten noch geschlossen sind. Und die andern Velofahrer, meist Rennradler auf nigelnagelneuen Geräten, machen alle ein Gesicht, als müssten sie dringend aufs Klo. Entschädigt werde ich von den vielen schönen Landschaften. Erst das Unterengadin mit den frisch eingeschneiten Hängen und schönen Lärchenwäldern, später die weiten Felder. Der Grenzübergang nach Deutschland hält eine frostige Überraschung bereit: plötzlich liegt wieder über einen Meter Schnee und beidseits der Strasse befinden sich nicht wenige Langläufer! Weiter unten wird es natürlich wärmer und nach längerem Suchen finde ich einen recht idyllischen Camping am wunderschönen Chiemsee. Am nächsten Abend komme ich wieder recht müde beim Mondsee an und ich kann nach dem Herausklingeln einer Frau bei einem geschlossenen Camping mein Zelt für 8€ direkt an der Strasse aufbauen. Doch am nächsten Tag wird es plötzlich anders: Die Seelandschaft im Salzkammergut ist gerade am Morgen wunderschön und endlich kann ich das Fahren so richtig geniessen. Ich komme gut voran, habe Zeit für Pausen und das Mittagessen wird von dem Wirteehepaar spendiert. Diese halten sich übrigens einen viel zu gross geratenen Zwerghasen als Haustier. Er hält sich für einen Hund, rennt in der Gaststube rum, schnuppert an jedem Gast und hört auf den Namen Jacky.
Langsam befinde ich mich auf den Zufahrtswegen für den Donau-Velohighway. Nun ist alles gut angeschrieben und die Wege verlaufen nicht mehr siebenmal um jeden Miststock rum. Und dann kommt er: der Donauradweg. Ein Paradies für alles und alle, die mit irgendwelchen beräderten Dingen unterwegs sind. Es gibt Radlertanken und jedes Geschäft schreibt gross „Radler willkommen!“. Sogar die Rennradfahrer haben hier ein Lächeln im Gesicht. Mit dem Wind im Rücken und der Sonne im Gesicht fliege ich nahezu in Richtung Wien, durch in Bärlauch getünchte Wälder, vorbei an blühenden Apfelplantagen oder eben auf dem Donaudam. Und immer wieder tauchen imposante Kloster oder ein Schloss auf. Dazu das Wild - meist neben, manchmal auch auf der Strasse. Was das für ein grosser grüner Vogel sei, welchen man oft auf den Feldern sehe, frage ich einen Bauern. Nun, antwortet er, das muss eine Krähe sein. Oder vielleicht auch ein Fasan. Grüne Krähen haben die hier also! Das alleine war die Reise wert.
Am Abend auf einen Camping stellen vier Holländer ihr Zelt neben meinem auf. Wie sich herausstellt, sind sie auch nach China unterwegs ( www.cycling2tibet.org ). Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mich nach ihnen umsehen, vielleicht können wir ja in China ein Stück zusammen fahren? Am nächsten Tag begehe ich den Fehler, dass ich nicht den Wegweisern, sondern der Donau folge. Das geht recht lange gut, dann wird aus Asphalt eine Naturstrasse, welche sich nach und nach auflöst. Und dann ist bei der Mündung eines Nebenflusses ganz Schluss. Aber zurück fährt der Herr natürlich nicht, lieber begibt er sich in ein Industrieviertel mit Frachthafen, aber ohne Wegweiser. Ich verfolge Lastwagen in Grössen, welche in der Schweiz verboten wären. Nach etwa 8 Km stehe ich nur 50 Meter von der vorherigen Stelle entfernt, dieses Mal aber auf der Richtigen Flussseite und mit diesen wunderbaren grünen Pfeilen auf den Tafeln. So komme ich mit einem Lächeln im Gesicht und ohne Anstrengung 150 Km pro Tag voran. Ich habe mich schon sehr gut zurechtgefunden. Jedes Geräusch am Velo ist mir vertraut, jedes Ding im Gepäck hat langsam seinen Platz gefunden und ich bin froh, dass die Ausrüstung wunschgemäss funktioniert. Überhaupt klappt alles genau so, wie ich es erhofft habe oder sogar noch besser. Nur die grosse Benzinflasche zum Kochen (was habe ich mir dabei nur gedacht?) und das Regenzeugs scheinen überflüssig. Es ist immer nur schön und keine Besserung in Sicht! Auch das Reisen ohne Begleitung gefällt mir gut. Es ist sicher nicht die einzig richtige Möglichkeit, aber eine, welche mit gut passt und bis jetzt geniesse ich es, nur auf mich selber hören zu müssen. Dadurch, dass ich oft die herumstehenden Leute nach einer Auskunkft frage, kommen immer wieder überraschende und mehr oder weniger hilfreiche Tipps zustande - Übernachtungsmöglichkeiten, Sehenswürdigkeiten oder unbrauchbare Besserwisserei wild gemischt. In Europa ist meine Zeit noch eher knapp bemessen, das wusste ich von Anfang an. Dafür werde ich ab dem Schwarzen Meer genügend Freiräume haben und stressig ist es auch hier nicht.
Morgen werde ich wohl noch in Wien bleiben und mich dann auf den Weg in Richtung Slowakei & Co machen. Wenn die Leute da gleich freundlich sind wie bis hierhin, wird es langsam langweilig! Aber die sprachlichen Hindernisse dürften jetzt dann beginnen, Langeweile wird also kaum ein Thema werden. Waschen sollte ich mal, gewisse Dinge könnten dem Geruch nach einem beinharten Tourenfahrer gehören!